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30. September 2024 | von Michel Konzelmann

Muskuloskelettale Rehabilitation und Konsum von Schmerzmitteln

Wir haben retrospektiv den Konsum von Schmerzmitteln in der muskuloskelettalen Rehabilitation untersucht. Hier beschreiben wir die psychologischen Faktoren, die mit diesem Konsum verbunden sind, sowie seinen Einfluss auf die Fragebögen und Funktionstests, die während des Aufenthalts durchgeführt wurden.

Inhalt

      Dr Michel Konzelmann, Evaluations- und Beratungszentrum, Forschungsabteilung der Suva-Kliniken, CRR, Avenue du Grand Champsec 90, 1950 Sitten 

      Philippe Vuistiner, Forschungsabteilung der Suva-Kliniken, CRR, Avenue du Grand Champsec 90, 1950 Sitten 

      Dr Cyrille Burrus, Abteilung für Rehabilitation des Bewegungsapparats, Forschungsabteilung der Suva-Kliniken, CRR, Avenue du Grand Champsec 90, 1950 Sitten 

      Dr Bertrand Léger, Forschungsabteilung der Suva-Kliniken, CRR, Avenue du Grand Champsec 90, 1950 Sitten 

      PD Dr François Luthi, Abteilung für Rehabilitation des Bewegungsapparats, CRR, Avenue du Grand Champsec 90, 1950 Sitten
      Abteilung für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Departement Bewegungsapparat, Universitätsklinik Lausanne, 1001 Lausanne 

      Einleitung

      In der Schweiz wie im Rest der Welt nimmt der Konsum von Schmerzmitteln, insbesondere von Opioiden, ständig zu (1). Die Verschreibung von Schmerzmitteln geschieht besonders häufig für Erkrankungen des Bewegungsapparats (2), und dabei auch für Unfall-folgezustände. In einer Studie über eine Unfallopferpopulation, basierend auf den Datenbanken der Suva (3), zeigten Müller et al., dass die Verschreibung aller Arten von Schmerzmitteln zwischen 2008 und 2018 überproportional angestiegen ist (zum Beispiel +88 % für starke Opioide bei allen Läsionsarten). Für Metamizol und Coxibe war der Anstieg grösser bei leichten muskuloskelettalen Läsionen im Vergleich zu schweren Verletzungen. Kürzlich haben Scholz et al. (4), mithilfe der Suva-Datenbank die Faktoren untersucht, die mit der Verordnung von Opioiden nach einer muskuloskelettalen Läsion in Zusammenhang stehen. Die Schwere, Art und Lokalisation der Läsion beeinflussten den Einsatz von Schmerzmitteln, insbesondere von Opioiden. Es wurde beobachtet, dass starke Opioide nicht nur nach Frakturen, sondern auch nach weniger schweren und oberflächlichen Läsionen verordnet wurden. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass andere Faktoren als die Schwere der Läsion wahrscheinlich eine Rolle bei der Verordnung von Opioiden spielen. Es liegen keine Daten zum Konsum von Schmerzmitteln in der muskuloskelettalen Rehabilitation vor. Die einzigen verfügbaren Daten stammen entweder aus Schmerzkliniken (5) oder betreffend die Situation nach elektiven orthopädischen Eingriffen (6, 7). Die Ziele unserer Studie waren vielfältig: Erstens, eine Bestandsaufnahme Schmerzmittel-konsums, insbesondere von Opioiden, in unserer Population von verunfallten Arbeitnehmern durchzuführen, die aufgrund anhaltender Schmerzen und funktioneller Einschränkungen eine stationäre Rehabilitation benötigen. Zweitens, die psychologischen Faktoren zu untersuchen, die mit der Einnahme von Schmerzmitteln in Zusammenhang stehen und drittens, die Zusammenhänge zu analysieren zwischen der Einnahme von Schmerzmitteln, den Selbsteinschätzungsfragebögen und den funktionellen Tests, die zu Beginn und am Ende des Aufenthalts durchgeführt wurden. Nur ein Teil dieser Daten wurde bereits veröffentlicht (8, 9).  

      Material und Methoden

      Zwischen 2014 und 2021 haben wir in der CRR eine retrospektive Studie zum Konsum von Schmerzmitteln in der Abteilung für muskuloskelettale Rehabilitation durchgeführt. Alle Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren, die in der Abteilung hospitalisiert waren und deren Schmerzen seit mehr als drei Monaten bestanden, wurden einbezogen. Wir schlossen polytraumatisierte Patienten, Amputierte und Brandopfer aus, da sie eine spezifische Gruppe darstellten. 

      Die soziodemografischen und klinischen Variablen wurden bei der Aufnahme mittels der medizinischen Anamnese erfasst (vgl. Tabelle Nr. 1). Die Fragebögen wurden von den Patienten bei der Aufnahme und bei der Entlassung unter Aufsicht des Pflegepersonals mit einem digitalen Stift ausgefüllt, der es ermöglichte, die Daten direkt in die Patientenakte einzutragen. Die Funktionstests wurden bei der Aufnahme und bei der Entlassung von Physiotherapeuten oder Ergotherapeuten durchgeführt (vgl. Tabelle Nr. 2). 

       

      Tabelle 1: soziodemografische und klinische Variablen 

      SOZIODEMOGRAFISCHE VARIABLEN  KLINISCHE, SCHMERZ- UND PSYCHOLOGISCHE FRAGEBÖGEN VARIABLEN  
      Alter 
      Geschlecht 
      BMI  
      Familienstand 
      Teilzeit-/Vollzeitarbeit 
      Unfall bei der Arbeit oder in der Freizeit 

       
      Schwere der Verletzung (AIS) 
      Zeitspanne zwischen Unfall und Rehabilitation 
      Lokalisation des Traumas (obere Extremität, untere Extremität, Wirbelsäule) 
      Anzahl der Operationen 
      Komorbiditäten (CIRS) 
      Schmerz Schweregrad/Interferenz (BPI-Fragebogen) 
      Neuropathischer Schmerz (DN4-Fragebogen) 
      Angst und Depression (HADS-Fragebogen) 
      Kinesiophobie (TSK-Fragebogen) 
      Überzeugungen und Vermeidungsverhalten (FABQ-Fragebogen) 
      Katastrophismus (PCS-Fragebogen) 
      BMI: Body-Mass-Index; AIS: Abbreviated Injury Scale; CIRS: Cumulative Illness Rating Scale; BPI: Brief Pain Inventory; DN4: Neuropathischer Schmerz 4; HADs: Hospital Anxiety and Depression scale; TSK: Tampa Scale of Kinesiophobia; FABQ: Fear Avoidance Beliefs Questionnaire; PCS: Pain Catastrophizing Scale

      Tabelle 2: Verwendete Funktionsfragebögen und Funktionstests 

      FUNKTIONSFRAGEBÖGEN  FUNKTIONELLE TESTS 
      ALLE PATIENTEN  
      (Allgemeine Funktionsfähigkeit)
       
      HFS-Fragebogen (obere Extremität) 
      SFS-Fragebogen (untere Extremität und Wirbelsäule) 
      ALLE PATIENTEN 
      6-Minuten-Test (Gehen) 
      Steep Ramp Test (SRT) mit MSEC-Berechnung (Ausdauer) 
      PILE Test (Tragen von Lasten) 
      OBERE EXTREMITÄT 
      DASH-Fragebogen 
      OBERE EXTREMITÄT 
      Jamar® (Handkraft) 
      400-Punkte-Bewertung (Funktionsbewertung der Hand) 
      UNTERE EXTREMITÄT 
      HOOS-Fragebogen (Hüfte) 
      IKDC-Fragebogen (Knie) 
      KOOS-Fragebogen (Knie) 
      FAAM-Fragebogen (Sprunggelenk-Fuss)
      UNTERE EXTREMITÄT 
      Isometrische Stärke des Quadrizeps 
      Einbeiniges Stehen 
      Test Sitzen-Stehen (5 mal) 
      60-Sekunden-Treppentest 
      WIRBELSÄULE 
      NDI-Fragebogen (Halswirbelsäule) 
      Oswestry-Fragebogen (Lendenwirbelsäule) 
      WIRBELSÄULE 
      Sphinx-Position 
      Test Sitzen-Stehen (5 mal) 
      60-Sekunden-Treppentest 
      HFS: Hand Function Sort; SFS: Spine Function Sort; DASH: Disabilities Arm Shoulder and Hand; HOOS: Hip disability and Osteoarthritis Outcome Score; IKDC: International Knee Documentation Committee; KOOS: Knee injury and Osteoarthritis Outcome Score; FAAM: Foot and Ankle Ability Measure; SRT: Steep Ramp Test; MSEC: Maximum Short Exercise Capacity; PILE: Progressive Isoinertial Lifting Evaluation.

       

       

      Wir haben die Patienten bei der Aufnahme und bei der Entlassung in drei Gruppen eingeteilt, basierend auf ihrer Einnahme von Schmerzmitteln: keine Schmerzmittel (PA), nicht-opioide Schmerzmittel (ANO) und opioide Schmerzmittel (AO). In der AO-Gruppe konnten die Patienten zusätzlich auch andere Schmerzmittel einnehmen. 

      Es wurden statistische Vergleiche zwischen den drei Gruppen hinsichtlich der sozio- demografischen und klinischen Daten sowie der Ergebnisse der verschiedenen Fragebögen und Funktionstests durchgeführt. Wir haben diese drei Gruppen bei der Aufnahme, bei der Entlassung sowie in Bezug auf die Unterschiede zwischen Aufnahme und Entlassung für die verschiedenen Fragebögen und Tests verglichen. Wir präsentieren die deskriptiven Statistiken für kontinuierliche Variablen als Mittelwert (Standardabweichung [SD]), mit Ausnahme der Zeit bis zur Hospitalisierung, die als Median (Interquartilsabstand [IQR]) angegeben wird. Kategoriale Variablen werden durch eine Zahl (Prozentsatz) beschrieben. Um die Unterschiede zwischen den drei Personengruppen zu beurteilen, wurden Einweg-ANOVA (Varianzanalyse) oder Mediantests für kontinuierliche Variablen und Chi-Quadrat-Tests für kategoriale Variablen verwendet. Die Annahme von Normal- verteilungen wurde visuell anhand von Histogrammen verifiziert. 

      Während der Dauer der Studie haben alle hospitalisierten Patienten an einem therapeutischen Programm fünf Tage pro Woche über einen Zeitraum von vier bis fünf Wochen teilgenommen. Dieses Programm umfasste verschiedene Therapien (Physiotherapie, Ergotherapie, medizinisches Training usw.) sowie psychologische und soziale Betreuung oder die Teilnahme an beruflichen Workshops, falls erforderlich. 

      Diese Studie wurde von der kantonalen Ethikkommission für die Forschung am Menschen (CER-VD Lausanne, Projekt-ID 2022-00366) genehmigt. Die Studie wurde gemäss der Erklärung des Weltärzteverbandes durchgeführt. Alle teilnehmenden Patienten gaben ihr Einverständnis. 

      Ergebnisse

      Studienpopulation, Einnahme von Schmerzmitteln, psychischer Zustand. 

      Unsere Stichprobe von 4350 Patienten bestand zu 84 % aus Männern mit einem Durchschnittsalter von 44 Jahren, die mehr als ein Jahr nach dem Unfallereignis in unsere Rehabilitationsklinik eingeliefert wurden (Median). 40 % nahmen bei der Aufnahme keine Schmerzmittel, 40 % nahmen nicht-opioide Schmerzmittel (NSAR, Paracetamol, Gabapentinoide, Metamizol, Antidepressiva, die als Schmerzmittel verwendet werden) und 20 % nahmen Opioide. Die AO-Gruppe berichtete im Vergleich zur PA-Gruppe über mehr Schmerzen (2 Punkte mehr auf der VAS) war ängstlicher und depressiver und zeigte insbesondere eine grössere Neigung zum Katastrophismus. Die ANO-Gruppe lag zwischen den beiden anderen Gruppen, war jedoch näher an der AO-Gruppe. Tabelle 3 fasst diese Daten zusammen. 

       

      Tabelle 3: demografische und klinische Variablen 


      VARIABLEN   Gesamt-population (n=4350)   PA 
      (n=1723)
        
      ANO 
      (n=1754) 
       

      AO
      (n=873)

      p  
      Alter (Jahre) (n=4350) 
      Durchschnitt (DS)  

      44,38
      (10,82)  

       43,87 (11,34) 44,59 (10,50) 44,96 (10,34) 0,031
      Geschlecht (n=4350) 
      Mann 
      Frau 

       

      3643 (84%) 
      707 (16%) 

       

      1523 (88%) 
      200 (12%)  

       

      1440 (82%) 
      314 (18%)  

       

      680 (78%) 
      193 (22%)  

       

      <0,001  

      BMI (kg/m2) (n=4318) 
      Durchschnitt (DS)  

       

      28,50  
      (5,18) 

       

      28,19  
      (5,17)  

       

      28,83  
      (5,14)  

       

      28,47  
      (5,25)  

       

      0,001

      Familienstand (n=4330) 
      Ledig  
      In einer Partnerschaft lebend 

       

      1532 (35%) 

      2798 (65%)  

       

      642 (37%) 
      1071 (63%)  

       

      591 (34%) 
      1156 (66%)  

       

      299 (34%) 
      571 (66%)  

       

      0,063 

      Arbeitspensum vor dem Unfall (n = 4329) 
      Vollzeit 
      Sonstiges  
      3677 (85%) 
      652 (15%)  
      1458 (85%) 
      259 (15%)  
      1517 (87%) 
      200 (13%)  
      702 (81%) 
      163 (19%)  
      0,001
      Unfall (n=4283) 
      Während der Arbeit  
      In der Freizeit oder zu Hause 
       

       

      2413 (56%) 
      1870 (44%)  

       

      914 (53%) 
      795 (46%)  

       

      1022 (59%) 
      708 (41%)  

       

      477 (56%) 
      367 (44%)  

       

      0,004

      Zeit zwischen Unfall und Spitalaufenthalt (Tage) 
      (n = 3804), Median [IQR] 
      390  
      [258-650]  
      389  
      [263–635]  
      390  
      [253–656]  
      391 
      [252-667]  
      0,992 
      Traumalokalisation (n=4350) 
      Untere Extremität 
      Obere Extremität 
      Wirbelsäule   

       

      1848 (42%) 
      1894 (44%) 
      608 (14%)  

       

      802 (47%) 
      748 (43%) 
      173 (10%)  

       

      761 (43%) 
      782 (45%) 
      211 (12%)  

       

      285 (33%) 
      364 (42%) 
      224 (26%)  

       

      <0,001  

      Operative Versorgung (n=4297) 
      Ja  
      Nein  

       

      2903 (68%) 
      1394 (32%)  

       

      1225 (72%) 
      477 (28%)  

       

      1158 (67%) 
      579 (33%)  

       

      520 (61%)

      338 (39%)

       

       

      <0,001  

      AIS (n=4253)  
      Punktzahl von 1 bis 6 
      Gering (1) 
      Mässig (2) 
      Mindestens ernst (3 bis 6)
        

       

      1332 (31%) 
      2283 (53%) 
      63 (15%)  

       

      513 (30%) 
      90 (54%) 
      26 (16%) 

       

      523 (30%) 
      96 (56%) 
      23 (14%)  

       

      296 (35%) 
      415 (49%) 
      136 (16%)  

       

      0,010

      CIRS (n=4290),  
      Durchschnitt (DS) 
      Punktzahl von 0 bis 56 
       
      4,02 (2,58)   3,90 (2,46)   3,97 (2,57)   4,36 (2,79)   <0,001  
      BPI-Schweregrad (n=4287)  
      Punktzahl von 0 bis 10  
      Durchschnitt (DS)  
      4,83 (1,97) 4,04 (1,96) 5,16 (1,85) 5,71 (1,66) <0,001  
      BPI-Interferenz (n=4288) Punktzahl von 0 bis 10  
      Durchschnitt (DS)  
       4,90 (2,23) 4,08 (2,20)  5,24 (2,11)  5,82 (1,96)  <0,001  
      DN4 ≥ 4/10 (n=4237)  
      Punktzahl von 0 bis 10 
      1212 (29%)  355 (21%)  545 (32%)  312 (37%)  <0,001  
      HADS Angst (n=4008) 
      Durchschnitt (DS) 
      Punktzahl von 0 bis 21 
       
      9,98 (4,47)  9,00 (4,33)  10,43 4,44)  11,06 (4,9)  <0,001  
      HADS Depression (n=4010) Durchschnitt (DS) 
      Punktzahl von 0 bis 21  
      7,75 (4,30)  6,74 (4,13)  8,13 (4,23)   9,2 (4,33) <0,001  
      TSK (n=4058), Durchschnitt (DS) 
      Punktzahl von 17 bis 68  
       45,60 (7,89)  46,9 (7,91) 46,86 (7,91) 46,86 (7,91)  <0,001  
      PCS (n=4059), Durchschnitt (DS) 
      Punktzahl von 0 bis 52 
       
       25,12 (12,32) 21,92 (11,93)  26,51 (12,00) 28,77 (12,20) <0,001  
      BMI: Body-Mass-Index; IQR: Interquartilsabstand; PA: keine Analgetika; ANO: nicht-opioide Analgetika; AO: Opioid-Analgetika; SD: Standardabweichung; AIS: Abbreviated Injury Scale; BPI: Brief Pain Inventory; CIRS: Body-Mass-Index; DN4: Neuropathischer Schmerz 4; HADS: Hospital Anxiety Depression Scale; PCS: Pain Catastrophizing Scale; TSK: Tampa Scale of Kinesiophobia

       

      Paracetamol (41 %) und NSAR (20 %) (insbesondere Ibuprofen: 64 %) waren die am häufigsten verwendeten Schmerzmittel. Die verwendete Dosierung blieb moderat: 1200 mg/Tag für Paracetamol und 380 mg/Tag für Ibuprofen. Bei Opioiden wurde Tramadol am häufigsten verordnet (18 %), während sogenannte starke Opioide selten verwendet wurden (2 %). Die mediane Opioiddosis betrug 11,3 mg Morphinäquivalent pro Tag, was einer moderaten Dosis entspricht. In den acht Jahren der Studie beobachteten wir keinen Anstieg des Konsums von Opioiden oder Ibuprofen. Der Konsum von Paracetamol stieg weiterhin an, insbesondere zwischen 2014 und 2017, mit einem Gesamtanstieg von knapp über 10 % zwischen 2014 und 2021. Der Pregabalin-Konsum halbierte sich, während derjenige von Gabapentin auf einem niedrigen Niveau stabil blieb (siehe Abbildung 1). 

      Opiate Grafik 1 DE.png

      Abbildung 1: Entwicklung des Schmerzmittelkonsums von 2014 bis 2021 

      Der Medikamentenkonsum änderte sich während des Aufenthalts bei 70 % der Patienten nicht. 21 % der Patienten, die Opioide einnahmen, brachen deren Einnahme ab, während bei 9 % der Patienten eine solche Behandlung während des Aufenthalts als analgetischer Test eingeführt wurde. Beim Austritt blieben die Prozentanteile innerhalb der drei Gruppen im Vergleich zum Eintritt vergleichbar (siehe Abbildung 2). 

      Opiate Grafik 2 DE.png

      Abbildung 2: Entwicklung der Zusammensetzung der drei Gruppen bei Eintritt, während des Aufenthalts und bei Austritt. 
      PA: keine Schmerzmittel; ANO: nicht-opioide Schmerzmittel; AO: opioide Schmerzmittel 

      Vorstudie (wurde zur Veröffentlichung eingereicht) zum Zusammenhang zwischen dem Schmerzmittelkonsum und der Patienten-Selbsteinschätzung ihrer Funktionsfähigkeit: 

      Alle Patienten, die Schmerzmittel einnahmen, insbesondere Opioide, hatten eine schlechtere Wahrnehmung ihrer Funktionsfähigkeit im Vergleich zur Referenzgruppe PA (zum Beispiel ein Unterschied von 18 Punkten zwischen der Gruppe PA und AO bei DASH und von 36 Punkten bei SFS), unabhängig vom Läsionssitus oder dem Fragebogen. Die ANO- und AO-Gruppen waren ähnlich (siehe Abbildung 3).  

      Opiate Grafik 3 DE.png

      Abbildung 3: Unterschiede zwischen den drei Gruppen in Bezug auf die Fragebögen zur Selbsteinschätzung der Funktionsfähigkeit.  
      Für DASH und Oswestry gilt: Je höher die Punktzahl, desto schlechter die Leistung. Für SFS, KOOS und FAAM gilt: Je höher die Punktzahl, desto besser die Leistung. 
      DASH: Disabilities Arm Shoulder and Hand; SFS: Spine Function Sort; KOOS: Knee injury and Osteoarthritis Outcome Score; FAAM: Foot, and Ankle Ability Measure; PA: keine Schmerzmittel; ANO: nicht-opioide Schmerzmittel; AO: opioide Schmerzmittel. 

      Nach der Rehabilitation machten alle drei Gruppen vergleichbare Fortschritte, jedoch blieben die initialen Unterschiede zwischen den Gruppen bestehen, da die Patienten, die Schmerzmittel einnahmen, anfänglich weniger günstige Ausgangswerte aufwiesen. Mit anderen Worten, die AO- und ANO-Gruppen nahmen einen vergleichbaren Fortschritt ihrer funktionellen Fähigkeiten wahr, aber der Unterschied zur PA-Gruppe bestand weiterhin. 

      Vorstudie (zur Veröffentlichung eingereicht) zum Zusammenhang zwischen Schmerz-mittelkonsum und den Ergebnissen der Funktionstests. 

      Sowohl beim Eintritt als auch beim Austritt erzielten die Patienten der Gruppen ANO und AO schlechtere Ergebnisse in den Funktionstests als die Patienten der Gruppe PA. Wie bei den Fragebögen verbesserten alle drei Gruppen ihre Leistung, aber der Unterschied zwischen den Gruppen blieb bestehen. Abbildung 4 (Rohdaten) zeigt die Unterschiede in den Leistungen bei Eintritt für die von allen Patienten durchgeführten Funktionstests (6-Minuten-Gehtest, PILE-Test, Steep Ramp Test). Für den 6-Minuten-Gehtest betrug der Unterschied beispielsweise 83 Meter zwischen PA und AO. 

      Opiate Grafik 4 DE.png

      Abbildung 4: Vergleich der Ergebnisse von drei Funktionstests, die von allen Patienten beim Eintritt durchgeführt wurden.
      PA: keine Schmerzmittel; ANO: nicht-opioide Schmerzmittel; AO: opioide Schmerzmittel. 

      Diskussion

      Dies ist die erste Studie, die den Konsum von Schmerzmitteln in der muskuloskelettalen Rehabilitation von Unfallpatienten im erwerbsfähigen Alter untersucht hat. Die einzigen bisher vorhandenen Daten stammen von Schmerzkliniken mit einer anderen Patienten- population mit chronischen Schmerzen (10, 11).  

      Eine wichtige und beruhigende Erkenntnis ist, dass die untersuchte Population keine übermässige Menge an Opioiden konsumiert. In den acht Jahren der Studie (2014-2021) beobachteten wir im Gegensatz zu Daten aus der Studie Müller et al. keinen Anstieg des Opioidkonsums (3). Die durchschnittliche Dosis der eingenommenen Schmerzmittel blieb niedrig, sowohl für Opioide als auch für Nicht-Opioide. Mehrere Hypothesen könnten die beobachteten Unterschiede besser erklären. Zunächst einmal war in der Studie von Müller et al. der Zeitraum der Einschlussperiode unterschiedlich (2008 bis 2018) und umfasste alle Suva-Unfallopfer und nicht speziell die Population der hospitalisierten Unfallopfer in der CRR-Rehaklinik. Darüber hinaus wurden dort Verschreibungen sowohl für akute als auch chronische Erkrankungen berücksichtigt. Insbesondere Oxycodon war in der Studie Müller für den Anstieg des Opioidkonsums verantwortlich. In unserer Studie verwendeten hingegen nur sehr wenige Patienten Oxycodon über einen längeren Zeitraum (2 % von 20 % der Opioid konsumierenden Patienten). Dieses Molekül wird wahrscheinlich vor allem in akuten Situationen verschrieben, was die Unterschiede zwischen den Beobachtungen erklären könnte. Bei den Nicht-Opioiden war hauptsächlich Metamizol für den Anstieg verantwortlich. Es gibt jedoch erhebliche regionale Unterschiede bei der Verordnung dieses Medikaments, das in der französischsprachigen Schweiz selten angewendet wird (3). Es ist auch möglich, dass die Daten zur Opioidkrise in den USA und Europa sowie die ergriffenen Massnahmen zur Einschränkung der Verschreibung von Opioiden einen positiven Einfluss auf die Ärzte hatten, im Sinne eines Rückgangs der Opioidrezeptierung zwischen 2014–2021. 

      Obwohl 20 % der Patienten in der Rehabilitationsklinik Opioide einnahmen, handelte es sich dabei hauptsächlich um Tramadol, und die Morphinäquivalenzdosis betrug nur 11,3 mg/Tag. Diese Dosis ist weit entfernt von den Dosen, die manchmal bei chronischen Schmerzen verwendet werden. Dieser Anteil von 20 % nach einem Unfall entspricht den Beobach- tungen, die bei anderen Bevölkerungsgruppen gemacht wurden, die unter chronischen Schmerzen leiden (12).  

      Wir bestätigen auch, dass in unserer Studienpopulation Opioide sowohl bei leichten als auch bei schwereren Läsionen verabreicht wurden» (siehe Tabelle 3), was die Daten aus der Studie von Müller bestätigt (3). 

      Auch wenn die durchschnittliche Opioiddosis moderat blieb, wurde dennoch beobachtet, dass sie einerseits mit einer Neigung zum Katastrophismus und andererseits mit stärkeren anxiodepressiven Symptomen einherging. Dies bestätigt die Ergebnisse früherer Veröffentlichungen (13). Eine erklärende Hypothese wäre, dass Patienten, die mehr Katastrophismus und emotionalen Stress in Bezug auf ihre Schmerzen äussern, von den Ärzten mehr Opioide verordnet bekommen, unabhängig vom ursprünglichen Schweregrad der Läsion. Diese Patienten könnten auch verstärkt nach medikamentösen Lösungen verlangen, (14) was zu - auf längere Frist - schädlichen Medikamentenverschreibungen führen könnte (15).  

      Bei den Patienten der Gruppen AO und ANO ist die Wahrnehmung der funktionellen Beeinträchtigung ausgeprägter, unabhängig von der Lokalisation der Läsion. Dies wurde bereits in Bezug auf Opioide bei Patienten nachgewiesen, die sich einer Hüft- oder Knieprothesenoperation unterzogen haben (7). 

      Ein neues Ergebnis unserer Studie ist, dass der Konsum von Opioiden auch mit schlechteren funktionellen Testergebnissen verbunden war. Dabei handelt es sich um vorläufige Daten, Literatur zu diesem Thema ist praktisch inexistent. Nur eine kleine Studie mit unterschied- lichen Tests ergab ähnliche Ergebnisse (16), jedoch in einem anderen Kontext (Schmerzzentrum). 

      Dass 40 % der Patienten keine Schmerzmittel einnahmen, mag überraschend sein, aber die Literatur bestätigt diese Beobachtung (2, 17, 18): Die dokumentieren Anteile der Patienten ohne Behandlung lagen zwischen 22 bis 44 %. Die Wirksamkeit von Schmerzmitteln, einschliesslich derjenigen von Opioiden, bei chronischen Schmerzen ist begrenzt (19, 20) und es kann davon ausgegangen werden, dass unsere Patienten, die im Durchschnitt bereits ein Jahr unter Schmerzen litten, vor Eintritt in die CRR-Rehaklinik meist verschiedene Klassen von Schmerzmitteln ausprobiert hatten. Angesichts der mangelnden Wirksamkeit hatten sich einige Patienten wahrscheinlich bereits von diesen Behandlungen abgewandt.  

      Unsere Studie weist einige Limitationen auf, darunter die retrospektive Bewertung der Daten und die Unmöglichkeit, unsere Ergebnisse zu verallgemeinern aufgrund der spezifischen Natur der Stichprobe. Zudem die Tatsache, dass wir keine Kausalzusammenhänge zwischen der Einnahme von Schmerzmitteln, psychologischen Faktoren und den Ergebnissen der Fragebögen und Funktionstests herstellen können. 

      Bedeutung der Studienresultate für die muskuloskelettale Rehabilitation

      Diese Beobachtungen können mehrere wichtige Implikationen haben. Zunächst ist es interessant, dass sich alle Patienten durch eine interdisziplinäre Behandlung verbessern, unabhängig davon, ob sie Schmerzmittel, einschliesslich Opioide, einnehmen oder nicht. Dies ist zu betonen, da insbesondere Patienten, die Opioide einnehmen, stigmatisiert werden können. Es ist daher wichtig, dass die Einnahme solcher Medikamente nicht als Hindernis für die Rehabilitation angesehen wird. 

      Des Weiteren, obwohl die konsumierten Dosen im Durchschnitt niedrig bis moderat blieben, waren sie sowohl subjektiv (Angst- und Depressionssymptome, Katastrophismus, wahrgenommene Beeinträchtigung) als auch nachweislich mit nachteiligen Folgen verbunden, einschliesslich eines erheblichen Rückgangs der körperlichen Leistungsfähigkeit. Die Rehabilitation bietet daher eine Gelegenheit, diese Probleme durch personalisierte therapeutische Programme zu adressieren. Die Therapiesitzungen zu chronischen Schmerzen haben sich besonders dann als wirksam erwiesen, insbesondere wenn sie mit funktionellen Therapien (Physiotherapie, Ergotherapie, angepasste körperliche Aktivitäten) kombiniert werden. Solche Programme werden seit einigen Jahren in der CRR-Rehaklinik angeboten und sollten weiterentwickelt werden (21). Zum Beispiel im Sinne von Programmen, die speziell die Reduktion der Arzneimitteleinahme – insbesondere von Opioiden – zum Ziel haben bei Patienten, die diese regelmässig einnehmen, obwohl sie weder notwendig noch wirkungsvoll sind. Solche Interventionen können dazu beitragen, die Behandlung chronischer Schmerzen zu optimieren, die Patienten wieder zu dynamisieren «und ihre soziale und berufliche Wiedereingliederung zu fördern.  

      Korrespondenzadresse

      Dr. Michel Konzelmann 
      FMH Rheumatologie 
      CRR
      Avenue du Grand Champsec
      1950 Sion

      Michel.konzelmann@crr-suva.ch

      Literaturverzeichnis

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