Unterstützung der Rehabilitation zu Hause: Das RehabCoach-Projekt
RehabCoach ist eine Plattform für die unbeaufsichtigte Rehabilitation. Durch die Kombination von tragbaren Robotern mit Systemen der künstlichen Intelligenz ergänzt der RehabCoach die Rehabilitationsmodelle und verbessert die Versorgung von neurologischen oder unfallbedingten Verletzungen.
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Inhalt
Autorenschaft
Prof. Dr. Olivier Lambercy, Rehabilitation Engineering Laboratory, ETH Zürich
Dr. Giada Devittori, Rehabilitation Engineering Laboratory, ETH Zürich
Alexandra Retevoi, Rehabilitation Engineering Laboratory, ETH Zürich
Dr. Oliver Stoller, RESC, ETH Zürich
Einführung
Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten sind eine häufige Folge neurologischer oder unfallbedingter Verletzungen und wirken sich stark negativ auf die Lebensqualität der Betroffenen aus. Mit der weltweit steigenden Inzidenz solcher Verletzungen[1] steigt auch der Bedarf an effektiven Rehabilitationsmassnahmen. Die Physiotherapie hilft, Funktion, Kraft und Mobilität wiederherzustellen und ermöglicht es den Patientinnen und Patienten, ihre Unabhängigkeit im Alltag zurückzugewinnen. Damit Rehabilitationsmassnahmen optimal wirken können, sind jedoch die Dosis und der Zeitpunkt der Therapie entscheidend.[2][3][4] Forschungsergebnisse zeigen, dass eine Erhöhung der Therapiedosis nach einer neurologischen Verletzung zu besseren Ergebnissen und damit zu einer gesteigerten Lebensqualität führen kann, selbst lange nach dem Auftreten der Verletzung.[5]
Die wachsende Nachfrage nach Therapien macht es jedoch schwierig, die Therapiedosis zu erhöhen. Der Zugang zu qualitativ hochwertigen Einrichtungen und ausgebildeten Fachkräften ist nicht immer gegeben und die Kosten sind erheblich. Selbst wenn Patientinnen und Patienten die Möglichkeit haben, eine Rehabilitationsklinik zu besuchen, fällt es ihnen oft schwer, das notwendige Mass an körperlicher Aktivität beizubehalten, um die in der Klinik erzielten Fortschritte zu erhalten, sobald sie diese strukturierte Umgebung verlassen und nicht mehr unter der direkten Aufsicht einer Therapeutin oder eines Therapeuten stehen. Die Anwesenheit medizinischer Fachkräfte bietet nicht nur eine physische Anleitung, sondern auch motivationale Unterstützung, die ein wesentlicher Bestandteil der Rehabilitation ist. Ohne diese Unterstützung fällt es vielen Menschen schwer, zu Hause einen Rehabilitationsplan einzuhalten, was zu suboptimalen Ergebnissen führen kann.
Daher besteht ein dringender Bedarf an neuen Lösungen, welche die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Rehabilitation über die gesamte Versorgungskette hinweg unterstützen können[6], also von der Klinik bis nach Hause. Insbesondere besteht die Chance, das traditionelle Rehabilitationsmodell in der Klinik, das stark auf Ressourcen wie Therapeutinnen und Therapeuten für Einzelbehandlungen angewiesen und damit äusserst kostspielig ist, neu zu überdenken.
Als Antwort darauf wurden verschiedene digitale Werkzeuge entwickelt, um die unbeaufsichtigte Rehabilitation zu fördern, wie zum Beispiel Virtual Reality (VR)[7] oder Game-Engines[8]. Diese Werkzeuge sollen die Reichweite der Therapie über die Klinik hinaus erweitern, indem sie den Patientinnen und Patienten Ressourcen zur Verfügung stellen, die sie bequem zu Hause nutzen können. So können sie die Rehabilitation fortsetzen und gleichzeitig den Ressourcendruck auf das Gesundheitssystem verringern.
Nach diesem Ansatz haben wir in den letzten Jahren ein Konzept für eine roboterassistierte Therapie der oberen Extremitäten entwickelt, die eine unbeaufsichtigte Therapie ermöglicht und fördert.[9][10] Dieses Konzept basiert auf der Idee, dass Patientinnen und Patienten lernen können, mit einer Rehabilitationstechnologie zu interagieren, ohne die direkte Aufsicht einer Therapeutin oder eines Therapeuten zu benötigen. Dadurch eröffnen sich neue Behandlungsoptionen wie Gruppentherapie in der Klinik, selbstgesteuertes Training in der Freizeit ausserhalb des Therapieplans oder sogar direkt zu Hause, um die Therapiedosis mit minimalem zusätzlichem Aufwand zu erhöhen.
In früheren klinischen Studien an Schlaganfallpatientinnen und -patienten konnten wir die Machbarkeit einer unbeaufsichtigten roboterassistierten Therapie demonstrieren, bei der die Betroffenen in ihrer Freizeit freiwillig in der Klinik mit unserem Rehabilitationsroboter arbeiteten. Dies führte zu einer Erhöhung der Therapiedosis für die oberen Extremitäten um etwa 40 %.[10] Solche Ansätze beinhalten jedoch im Anschluss an die Entlassung aus der Klinik auch erhebliche Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf die Aufrechterhaltung des Engagements und der Motivation nach der Rückkehr nach Hause.
Die RehabCoach-Plattform
Im laufenden Forschungsprojekt, das von der Suva, der ETH Zürich Foundation und dem Competence Centre for Rehabilitation Engineering and Science (RESC) unterstützt wird, möchten wir diese Herausforderungen angehen, indem wir die RehabCoach-Plattform entwickeln. Diese Plattform besteht aus der RehabCoach-App und dem ReHandyBot-Gerät. Unser Ziel ist es, die roboterassistierte unbeaufsichtigte Therapie durch eine Smartphone-Anwendung zu ergänzen, die als hochinteraktive Schnittstelle zwischen der Patientin oder dem Patienten und dem Rehabilitationsgerät dient. Dadurch können personalisiertes Feedback und Gesundheitsinformationen bereitgestellt werden, um die Patientin oder den Patienten zur Teilnahme an Therapieübungen zu motivieren.
Das Tischgerät für die Rehabilitation
Unser Rehabilitationsroboter ReHandyBot ist ein klinisch validiertes Gerät zur Schulung von Greif- und Unterarmfunktionen[11][12], das am Rehabilitation Engineering Laboratory der ETH Zürich in enger Zusammenarbeit mit der Clinica Hildebrand in Brissago entwickelt wurde. Basierend auf einer Reihe von ansprechenden Therapieübungen, die sich auf sensomotorisches und kognitives Training konzentrieren[13][14], und klinisch motivierten Algorithmen, bietet ReHandyBot seinen Nutzerinnen und Nutzern eine personalisierte Erfahrung, wobei der Schwierigkeitsgrad und die Intensität der Übungen basierend auf objektiven sensomotorischen Parametern[15] massgeschneidert sind. Dank dem tragbaren und benutzerfreundlichen Design können Patientinnen und Patienten zu Hause therapeutische Aktivitäten ausführen.
In einer laufenden Studie mit Patientinnen und Patienten mit neurologischen Verletzungen konnten wir bereits nachweisen, dass die Nutzung von ReHandyBot zu Hause machbar war und täglich eine sinnvolle zusätzliche Dosis Oberarmtherapie erfolgte, ohne dass technische oder klinische Unterstützung erforderlich war.
RehabCoach, die digitale Smartphone-Assistenz-App
Die RehabCoach-Smartphone-App wurde entwickelt, um die Motivation zur Teilnahme an den Rehabilitationsmassnahmen über den gesamten Prozess hinweg zu steigern. Die App unterstützt Menschen während der Therapie zu Hause mit dem ReHandyBot und nutzt künstliche Intelligenz (KI) [17], um eine personalisierte, autonome und langfristig ansprechende Unterstützung zu bieten.
Die App arbeitet auf mehreren Ebenen, z. B. durch tägliche Erinnerungen an das Training und personalisiertes Feedback zum Therapiefortschritt, und bietet neben weiteren Funktionen technische Unterstützung bei der Nutzung des ReHandyBot. Diese Funktionen werden zum Teil durch Konversationsagenten (Chatbots) bereitgestellt, die als starke Werkzeuge in digitalen Gesundheitsanwendungen gelten.[16] Wir arbeiten daran, unsere Konversationsagenten weiter zu personalisieren, indem wir Bildungsprogramme integrieren. Beispielsweise könnten die Konversationsagenten Informationen über die Bedeutung eines gesunden Lebens nach einer neurologischen Verletzung bereitstellen, oder bei unfall- bedingten Verletzungen könnten sich die Gespräche um das Wohlbefinden und die allgemeine Gesundheit drehen. Die Konversationsfähigkeiten der RehabCoach-App werden sicherstellen, dass die von menschlichen Therapeutinnen und Therapeuten bereitgestellten motivationalen Aspekte wie Ermutigungstechniken und die Beachtung der Trainingsergebnisse gut im RehabCoach-Ökosystem abgebildet sind.
Ein Beispiel für Rehabilitationstechnologien zu Hause
Die neue Forschungspartnerschaft mit der Suva ermöglicht es uns, die vielversprechenden Ergebnisse der RehabCoach-Plattform als Lösung zur Unterstützung der Rehabilitation entlang des Behandlungsprozesses zu skalieren. Konkret werden wir diese Technologie in der Rehaklinik Bellikon einsetzen, wo Traumapatientinnen und -patienten (Personen mit traumatischen Hirnverletzungen und orthopädischen Problemen) die Möglichkeit haben, an einer klinischen Studie teilzunehmen, die den Einsatz von RehabCoach sowohl in der Klinik als auch später zu Hause bewertet. Die enge Zusammenarbeit mit der Suva gibt uns auch die einzigartige Gelegenheit, wichtige Stakeholder zu identifizieren und Diskussionen mit politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern zu initiieren, um innovative, technologieunterstützte Versorgungsmodelle über die traditionellen Ansätze in der Rehabilitation hinaus einzuführen. Dies könnte den Weg für eine umfangreiche Initiative ebnen, um Erstattungssätze für neue Rehabilitationstechnologien entlang des gesamten Behandlungsprozesses zu implementieren.
Erfolgreiche Partnerschaft zwischen der ETH Zürich und der Suva
Das ETH Competence Center for Rehabilitation Engineering and Science (RESC) entwickelt seit 2020 ein starkes Netzwerk, unterstützt interdisziplinäre Forschung, etabliert zeitgemässe Bildungsprogramme und unterstützt den Wissenstransfer, um die Weiterentwicklung und Digitalisierung der Rehabilitation zu fördern. Das aktuelle Netzwerk besteht aus führenden Forschungsgruppen und verschiedenen Schweizer Partnern aus Industrie, Gesundheits- wesen, Regierung, Versicherungswesen und Behindertenorganisationen. Mit Unterstützung der strategischen Partnerin Suva koordiniert das RESC ein umfangreiches Forschungs- förderungsprogramm, das sich mit Herausforderungen und Chancen in den Bereichen Prävention, Rehabilitation, Assistenz, Inklusion und Gesundheitsökonomie befasst, wobei der Schwerpunkt auf unfallbedingten Verletzungen liegt. Die Forschungsgelder sollen interdisziplinäre und translational-orientierte Forschungs- und Entwicklungsprojekte unterstützen, um Innovation entlang des gesamten Behandlungsprozesses anzustossen. Die enge Partnerschaft zwischen ETH RESC und der Suva ermöglicht die Entwicklung neuer Lösungen, um den Zugang und die Qualität in der Rehabilitationsmedizin zu verbessern und unsere Umgebung insgesamt inklusiver zu gestalten.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Olivier Lambercy
Rehabilitation Engineering Laboratory, ETH Zürich
Literaturverzeichnis
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