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15. Dezember 2022 | von Martin Rüfenacht

Evidence Based Murder

Martin Rüfenacht übernahm am 1. September 2022 die Leitung der Militärversicherung und macht sich Gedanken über Evidenz, Beweis und Empirie.

Inhalt

      Als Jurist fragt man sich bisweilen, wie man nicht evidence based arbeiten kann. Die stete Suche nach Recht, Unrecht, Adäquanz und insbesondere Beweis ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Lehre und Forschung überschlagen sich mit Spitzfindigkeiten und Wortklaubereien, um die stichhaltigsten Argumente und Nachweise auf ihrer Seite zu wähnen. Eine langjährige Praxis und ausgefeilte Regeln im Prozessrecht befassen sich mit dem Thema der Beweisverwendung und -würdigung. Da erscheint es uns seltsam, dass eine naturwissenschaftliche Disziplin wie die Medizin sich noch mit dieser Frage herumschlägt bzw. sie sich getraut, sie überhaupt zu stellen. Schnell ereilt den Juristen der Verdacht, einer dubiosen Sache gegenüberzustehen und er sucht unweigerlich in seinem Gedächtnis oder in der Kasuistik nach Fällen verurteilter Quacksalber und fieser Giftmörder.
      Da ich mich in meiner Freizeit mit diesen Abgründen befasse und sie zwischen zwei Buchdeckel zu pressen versuche, sind mir diese Überlegungen nicht fremd. 

      Aufgewachsen im beschaulichen schweizerischen Niemandsland deutete noch wenig auf den späteren Hang zum Morbiden hin. Auch die mehr oder weniger problemlos durchlaufene Primarschule und Oberstufe war hinsichtlich dieses Themas bedenkenlos. Vielleicht gleiste ein längerer Aufenthalt in Kalifornien während der Kantonsschulzeit das Ganze auf. Die Erfahrungen dieser Reise trugen aber sicherlich zur Wahl der Jurisprudenz als Studienfach bei. Im Studium war mir dann erstaunlicherweise nicht das Strafrecht das Liebste, sondern eher das Sozialversicherungs- und Wirtschaftsrecht. So ist es nicht erstaunlich, dass ich den Weg in die Suva gefunden habe, zunächst als Mitarbeiter der Unternehmensentwicklung, später als Sekretär der Medizinaltarif-Kommission UVG (MTK) und schliesslich als Bereichsleiter für ambulante Medizinaltarife bei der Zentralstelle für Medizinaltarife (ZMT). 
      Seit dem 1. September 2022 darf ich nun die Geschicke der Militärversicherung leiten.  Eine spannende Aufgabe an der Schnittstelle von Politik, Versicherung und Medizin. Für die Weiterentwicklung der Militärversicherung bauen wir auf einer Kombination von Empirie gepaart mit Evidenz auf, um Bewährtes weiter zu tun und Neues gezielt voranzutreiben. Als eigenständige Sozialversicherung verfügt die Militärversicherung über einen eigenen versicherungsmedizinischen Dienst und vernetzt sich über diverse Schnittstellen mit Versicherern, Behörden und Gremien. Insbesondere bleibe ich der MTK, neu als ständiger Vertreter in den Vorstandssitzungen, treu.

      Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Unterschied zwischen Beruf und Freizeit hinsichtlich «mörderischer» Evidenz besteht. Natürlich spielt sich das fiktive literarische Ableben-Lassen in der Zeit nach dem Arbeitsalltag ab. Wobei auch im Kriminalroman der Ermittler stets auf der Suche nach der medizinischen Evidenz bzw. dem Beweis ist. Denn was nützen Opfer, Motiv und Tatwaffe, wenn die Täterin oder der Täter nicht durch Evidenz überführt wird? Es wäre ein lahmer Krimi, wenn der Ermittler durch Vermutungen oder gar Raten auf die Spur des Mörders käme. Erst der Beweis, bisweilen eben gepaart mit medizinischer Evidenz bringt Klarheit. Aus meiner Sicht besonders ärgerlich ist ein Kriminalroman, bei dem im zweitletzten Kapitel plötzlich ein bisher nicht erwähnter Cousin des Opfers auftaucht und sich als Mörder herausstellt. 

      Also spielt die Berufserfahrung vermutlich doch in die Freizeitaktivität hinein. Vertragsverhandlungen als Basis für Verhöre im Krimi? Appraisal-Prozess als Grundlage für Ermittlungserfolge? Medizinische Fragestellungen als Hintergrund für fiktive Verbrechen? Es gilt die Balance zu halten im Sinne einer vernünftigen und verträglichen Work-Life-Balance. 
      Anekdotisch ist vermutlich folgendes Erlebnis: Gesichtsfarbenverlust und Blutdruckproblem der Jusstudenten bei der Leichenöffnung in der Rechtsmedizin-Vorlesung. Gefolgt von einer fast schon idealistisch motivierten Betreuung dieser Studenten durch die Kommilitoninnen und Kommilitonen der medizinischen Fakultät. Ob es sich dabei um medizinisch haltbare Evidenz handelt und damit Allgemeingültigkeit erlangt, sei dahingestellt. Empirie ist halt doch nicht gleich Evidenz und auch nicht mit Beweis gleichzusetzen.

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