Das menschliche Verhalten: «Wir müssen die Menschen und ihr Verhalten ins Zentrum stellen»
Inhalt
Interview mit Jeannette Büchel, Sozial- und Arbeitspsychologin der Suva
Das menschliche Verhalten rückt ins Zentrum der Präventionsarbeit der Suva. Warum?
Früher richtete sich das Augenmerk auf technische Massnahmen, später auf Information und Instruktion. Dadurch sanken die Unfallzahlen stetig. Wenn wir noch mehr Unfälle verhindern wollen, müssen wir den Menschen und sein Verhalten ins Zentrum stellen. Wichtig scheint mir dabei: Der Mensch ist nicht nur ein Risiko-, sondern vor allem auch ein Sicherheitsfaktor. Die Porträts der drei Berufsleute zeigen eindrücklich, dass der Mensch vieles dazu beiträgt, um nicht zu verunfallen.
Wie kann das menschliche Verhalten beeinflusst werden?
Bevor wir Einfluss nehmen können, müssen wir die Ursache verstehen, die zu einem bestimmten Verhalten führt. Wenn beispielsweise jemand bei der Arbeit die Schutzbrille nicht trägt, kann das verschiedene Gründe haben. Vielleicht kennt er die Gefahr nicht, möglicherweise trägt keiner im Betrieb die Brille oder aber die Schutzbrille ist unbequem. Nehmen wir an, die Brille drückt beim Tragen. So hilft es wenig, wenn wir im Detail über die Gefahren aufklären. Stattdessen müssen wir ein passendes Modell zur Verfügung stellen. Das meine ich, wenn ich vom Verstehen der Beweggründe spreche. Diese erfahren wir nur im Gespräch und im Dialog mit den Mitarbeitenden.
Der sogenannte Intention- Behavior-Gap besagt, dass wir Menschen nicht immer das tun, was unsere Absicht ist. Wir missachten beispielsweise die lebenswichtigen Regeln, obwohl wir sie kennen. Warum?
Oft bestimmt nicht das Wissen um eine Gefahr unser Handeln. Wir verdrängen den Sicherheitsaspekt, weil im entscheidenden Moment etwas anderes wichtiger ist. Kurzfristig gesehen sind die Gründe, die zum Missachten der Regeln führen, nachvollziehbar: Es kostet zu viel. Es dauert zu lange. Es ist uncool. Daher ist es wichtig, dass die Vorgesetzten die lebenswichtigen Regeln regelmässig instruieren, dabei auch die Schwierigkeiten thematisieren und dafür Lösungsansätze besprechen. Nehmen wir das Beispiel «fehlende Zeit»: Vorgesetzte sollten mit den Mitarbeitenden diskutieren, wie Arbeitsabläufe sicher und effizient organisiert werden können. Und sie sollten ihnen vor Augen halten, wie wenig Zeit es tatsächlich braucht, eine Arbeit sicher zu erledigen – im Vergleich dazu, wie viel Zeit, Schmerz und Geld ein Unfall kostet.
Warum ist es so schwierig, das Verhalten zu ändern?
Wir kennen es alle: Die guten Vorsätze vom neuen Jahr sind schnell wieder vergessen. Das Verhalten zu ändern, bedeutet, Gewohnheiten aufzugeben. Das ist anstrengend. Hinzu kommt, dass wir Menschen als soziale Wesen nicht isoliert handeln. Wir achten darauf, was andere tun und was von uns erwartet wird. Unsere Entscheidungen fällen wir oft aus dem Bauch heraus und nicht mithilfe des Verstands. Dennoch: Verhalten zu ändern, ist schwierig, aber nicht unmöglich. Als Menschen sind wir in der Lage, bis ins hohe Alter zu lernen und uns zu verändern.