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30. Juni 2017 | von

«Die Suva ist die Schweiz im Kleinen»

Was die Suva im Jahr 2017 besonders erfreute. Was sie 2018 bewegt. Und was sie zu ihrem 100-Jahr-Jubiläum zu sagen hat. Ein Gespräch mit Felix Weber, Vorsitzender der Geschäftsleitung und Gabriele Gendotti, Suva-Ratspräsident.

Inhalt

      Interview_Weber_Gendotti_Ammann

      Der neue Präsident des Suva-Rats, Gabriele Gendotti (rechts), und der Vorsitzende der Geschäftsleitung, Felix Weber (Mitte), im Gespräch mit Daniel Ammann, Autor und Journalist (links).

      Herr Gendotti. Sie sind seit Anfang 2018 Ratspräsident der Suva. Sie sind erst der zweite Tessiner an der Spitze der Suva. 

      Gabriele Gendotti: Und der zweite aus Faido! Luigi Generali, der die Suva von 1973 bis 1990 präsidierte, kam auch aus meinem Dorf. 

      Inwiefern bringen Sie als Tessiner eine spezielle Perspektive in die Suva ein?

      Gendotti: Ich möchte das in den Worten von Ignazio Cassis sagen, der es sehr schön ausgedrückt hat, als er letzten Herbst nach langer Tessiner Vakanz zum Bundesrat gewählt wurde: Es ist gut für die Suva, dass sie auch wieder einmal von einem Vertreter der kulturellen und sprachlichen Minderheit präsidiert wird, von jemandem also, der italienisch denkt, spricht und träumt. Die italienische Schweiz hat auch einige Tugenden zu bieten; eine andere Art von Offenheit und eine gewisse Kreativität. Und was mich persönlich angeht: Ich stehe Reformen prinzipiell positiv gegenüber. 

      Was war für die Suva 2017 besonders erfreulich? 

      Felix Weber: Sicher das sehr gute finanzielle Ergebnis  , zu dem alle Teilrechnungen beigetragen haben: die Risiko-, die Kapitalertrags- und die Betriebskostenrechnung. Ausserdem ist die Anzahl der Berufsunfälle erneut zurückgegangen und sogar die Heilkosten sind stabil geblieben. Und es ist für mich sehr erfreulich, dass wir intern bereits erste Projekte im Rahmen der 2016 erarbeiteten Dachstrategie «avance» umsetzen konnten.

      Worum geht es in «avance»?

      Weber: Die Suva setzt weiterhin auf die einzigartige Kombination von Prävention, Versicherung und Rehabilitation, die sie ihren Kunden aus einer Hand anbietet. Wir wollen dabei aber noch effizienter werden. Wir konzentrieren uns zudem auf unser Kerngeschäft und üben Nebentätigkeiten nur aus, wenn sie selbsttragend sind und dem Kerngeschäft einen Mehrwert bringen. Und natürlich verfolgen wir nach wie vor ein ganz wichtiges Ziel: Unsere Kunden müssen mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis unserer Dienstleistungen zufrieden sein. 

      Was war für Sie besonders erfreulich, Herr Gendotti?

      Gendotti: Neben den Punkten, die Felix Weber erwähnt hat, möchte ich etwas hervorheben, das ich bei der Suva beeindruckend finde: Wir haben, ob es nun um die neue Strategie oder um die Sanierung unserer Vorsorgeeinrichtung geht, bis jetzt immer einen Konsens erreicht. Unsere Lösungen werden nicht nur von den Sozialpartnern, sondern auch von den Mitarbeitenden und dem Kader mitgetragen. Das ist ein enormer Erfolg und in der heutigen Zeit eine grosse Leistung.

      Felix Weber.tif

      Die Suva erzielte 2017 eine hervorragende Performance von 7,8 Prozent auf ihren Kapitalanlagen. Wie haben Sie das erreicht?

      Weber: Das ist ja nicht das Resultat einer einmaligen, ausserordentlichen Leistung. Unsere für die Kapitalanlagen verantwortliche Equipe macht einen super Job und hat in den vergangenen Jahren regelmässig überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen können. Wir erreichen diese Ergebnisse, weil wir breit diversifiziert sind und unsere Anlagen mit einem langfristigen Horizont tätigen können. 2017 trugen vor allem die Aktien und insbesondere Aktien aus den Schwellenländern zum guten Resultat bei. Aber auch die anderen Segmente, sogar die festverzinslichen Anlagen, performten gut.

      Die Negativzinsen sind für die Suva kein Problem mehr?

      Gendotti: Sie sind schon noch eine Belastung und wir versuchen, die Auswirkungen mit einem guten Liquiditätsmanagement zu mindern. Ohne Negativzinsen hätten wir ein noch besseres Resultat. Die ausgezeichnete Performance und den Gewinn verdanken wir einer sehr guten Geschäftsleitung. Solche Leistungen kann man nur mit Spitzenleuten erreichen. 

      Dank der guten Erträge hat die Suva einen finanziellen Deckungsgrad – also ein Verhältnis ihres Vermögens zu ihren Verpflichtungen – von nunmehr 143 Prozent. Braucht es tatsächlich so viel?

      Weber: Diese Mittel sind zweckgebunden und dienen zum Beispiel dazu, 88 000 Renten zu finanzieren – und zwar nicht nur heute, sondern auch in Zukunft. Ein hoher Deckungsgrad ist nötig, um Einbrüche an den Kapitalmärkten zu überstehen. Denken Sie nur an den Krieg in Syrien oder die Spannungen zwischen den Grossmächten. Wir haben uns in den letzten Monaten aber auch gefragt, ab wann der Deckungsgrad eine sinnvolle Obergrenze erreicht hat, ab wann also ein zusätzlicher Prozentpunkt Deckungsgrad nur noch eine minimale zusätzliche Sicherheit bietet. 

      Sind Sie schon zu Antworten gekommen?

      Weber: Wir haben in den letzten Monaten ein Konzept entwickelt und sind zusammen mit dem Suva-Ratsausschuss und dem Suva-Rat daran, eine Obergrenze zu definieren.
      Gendotti: Unsere Experten haben sowohl eine Ober- als auch eine Untergrenze entlang definierter Parameter ausgerechnet. Als Präsident sage ich generell: Wir müssen schauen, dass wir kein zu grosses Risiko eingehen. Es ist vernünftig, eher einen etwas zu grossen als einen zu kleinen Deckungsgrad zu haben. 

      Was passiert, wenn die Obergrenze für den Deckungsgrad überschritten wird?

      Gendotti: Dann gibt es die Möglichkeit, unsere Versicherten an den Überschüssen teilhaben zu lassen. 
      Weber: Wir prüfen einen Abzug von der Prämie. Eine Prämienreduktion von maximal 15 Prozent wäre möglich.
      Gendotti: Das ist auch gut für die Reputation der Suva. Wir können zeigen, dass unsere Versicherten von unserer guten Arbeit und rentierenden Anlagen profitieren. 
      Weber: Wichtig: Die Suva ist weiterhin sehr solide finanziert, auch wenn wir unsere Versicherten an diesen Überschüssen teilhaben lassen. Wir könnten auch ein 100-Jahre-Ereignis an den Kapitalmärkten auffangen und unsere Verpflichtungen erfüllen.

      Was wäre ein solches 100-Jahre-Ereignis?

      Weber: Ein massiver Einbruch an den Aktienmärkten, mit Kursabschlägen gegen 50 Prozent.

      Was 2017 auffiel: Erneut kam es zu mehr Nichtberufsunfällen. Was sind die Gründe dafür?

      Gendotti: Wir beobachten dieses Phänomen seit einigen Jahren. Der Grund ist ein Wandel der Gesellschaft in Richtung Freizeitgesellschaft: Die Leute treiben mehr Sport, haben mehr Hobbys, arbeiten mehr im Garten. Das sind alles Tätigkeiten, die Risiken bergen. In diesem Bereich müssen wir künftig mehr investieren. Die Leute müssen wissen, wo sie Risiken eingehen und wie man Unfälle vermeiden kann. 
      Weber: Unsere Statistiker stellten im vergangenen Jahr fest, dass vor allem 55- bis 64-Jährige häufiger verunfallten. Manchmal entspricht die Freizeitaktivität offenbar auch nicht mehr dem körperlichen Fitnesstand. Die Freizeitsicherheit wird uns in Zukunft sicher stark beschäftigen, aber darüber darf man die Berufsunfälle nicht vergessen. Es sind immer noch 180 000 pro Jahr – und mehr als einer pro Woche endet tödlich. 

      Die Diskussionen über die Versicherungsdetektive gehen hoch. Das Parlament hat eine explizite gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, gegen die nun das Referendum lanciert wird. Ärgert Sie das Referendum?

      Gendotti: Das ist ein demokratisches Recht, das wir selbstverständlich respektieren. Das Volk wird entscheiden und das ist gut so. Aus unserer Sicht sind die Detektive ein wichtiges Instrument zugunsten der Versicherten, die Anspruch auf Leistungen haben. Wir bekämpfen Missbräuche auch, um das Vertrauen in den Sozialstaat zu erhalten. 
      Weber: Wir bearbeiten 460 000 Schadenmeldungen pro Jahr. Bei ungefähr 1200 Fällen haben wir den Verdacht, dass der Anspruch nicht berechtigt ist. Und in bloss 10 bis 15 Fällen haben wir observiert. Dadurch konnten wir pro Fall 300 000 bis 500 000 Franken an ungerechtfertigten Leistungen verhindern. Wir haben Observationen bis zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Einzelfällen eingesetzt. Dabei stützten wir uns auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung. Der neue Gesetzesentwurf ist in unserem Sinne.

      Seit dem Fall Facebook wird heftig über die Verwendung von persönlichen Daten diskutiert. Wie sicher sind die Daten bei der Suva? 

      Weber: Datenschutz und Datensicherheit haben bei uns höchste Priorität. Um uns gegen Datenverlust zu wappnen, betreiben wir zwei Rechenzentren und haben zusätzlich je ein Backup in einem Bunker. Und um den Datenschutz zu gewährleisten, verfahren wir nach dem Need-to-know-Prinzip: Nur was der einzelne Mitarbeiter tatsächlich für seine Arbeit sehen muss, darf er sehen.

      Die Suva wird dieses Jahr 100 Jahre alt. Was sind die Kernaussagen Ihrer Jubiläumsreden? 

      Gendotti: Ich möchte die Geschichte der Suva vermitteln und den Leuten vor Augen führen, dass es vor der Suva überhaupt kein Auffangnetz für verunfallte Arbeiterinnen und Arbeiter gab. Ein Unfall liess ganze Familien verarmen. Und meine zweite Botschaft: Die Suva ist kerngesund und geniesst in der Schweizer Gesellschaft einen hervorragenden Ruf. 
      Weber: Für mich ist die Suva eine einzigartige Unternehmung, die durch ihre wirkungsvolle Kombination von Prävention, Versicherung und Rehabilitation – und durch die Führung durch die Sozialpartner – grossen Nutzen für ihre Kunden und für den Werkplatz stiftet. Die Suva gehört ihren Versicherten! Sie ist eigenständig und erhält keine staatlichen Subventionen. 

      Gabriele Gendotti.tif

      Herr Gendotti, was sind Ihre wichtigsten Ziele als neuer Suva-Ratspräsident?

      Gendotti: Die Suva ist gewissermassen die Schweiz im Kleinen. Sie repräsentiert das sehr erfolgreiche Schweizer Modell, das in letzter Zeit allerdings etwas unter Druck gekommen ist: Die Sozialpartner diskutieren konstruktiv, bis sie eine Lösung finden, die von allen mitgetragen werden kann. Mein wichtigstes Ziel ist es, dieses Modell zu wahren, das für mich auch nach 100 Jahren noch immer ein Erfolgsrezept ist. 

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