Esteban Petignat am Ball

Esteban Petignat: 1000 Tage verletzt

Esteban Petignat war einst ein vielversprechendes Talent bei YB. Dann nahm seine tragische Verletzungsgeschichte ihren Anfang. Mit seinem Willen ist er ein Vorbild für Leidensgenossinnen und Leidensgenossen.

Mämä Sykora
05.05.2024

Inhalt

      Kurz und bündig

      • Esteban Petignat galt einst als grosses Fussballtalent.
      • Zahlreiche Verletzungen haben ihn immer wieder zurückgeworfen.
      • Amateuren und Amateurinnen empfiehlt er, sich bei Verletzungen nicht zu sehr zu hinterfragen.

      Er galt einst als eines der grössten Fussballtalente unseres Landes. Dann schlug bei YB-Mittelfeldmann Esteban Petignat die Verletzungshexe zu – und liess nicht mehr von ihm ab. Mehrmals musste er am Knie operiert werden, die Mühen der Rehabilitation lernte er zuletzt auch als Amateurfussballer des SC Cham kennen. Immer wieder brachte er die Motivation auf, sich wieder zurückzukämpfen – und ist damit ein Vorbild für alle Leidensgenossinnen und Leidensgenossen.

      YB-Star mit 19 Jahren

      Es begann alles wie ein Märchen. Im Oktober 2018 spielt der Freiburger Esteban Petignat mit dem YB-Nachwuchs in der Youth League gegen Manchester United. Acht Monate später darf er mit der ersten Mannschaft in einem Testspiel gegen den VfB Stuttgart ran und schiesst gleich ein Tor. Am Uhrencup trifft er auch gegen Frankfurt. Der «Blick» nimmt ihn in die Liste der Schweizer «Super-Teenager» auf, zusammen mit Dan Ndoye oder Noah Okafor. Kurz darauf gibt er mit 19 Jahren sein Super-League-Debüt, die Woche darauf folgt das erste Heimspiel vor 32 000 Zuschauer/-innen, an dem sich YB an die Tabellenspitze schiesst. Im letzten Spiel vor der Winterpause beordert Trainer Gerardo Seoane den defensiven Mittelfeldspieler gar in die Startelf. Keine Frage: Der Weg von Esteban Petignat zeigte steil nach oben. Und dann kam der verhängnisvolle Samstag im März 2020.

      «Eigentlich wäre dann eine Meisterschaftspartie auf dem Programm gestanden, doch wegen Corona pausierte die Liga, weshalb wir nur trainierten», erinnert sich Petignat. Er geht in einen Zweikampf, Kontakt mit dem Gegenspieler gibt es keinen, doch das Knie verdreht sich. Es kracht, heftige Schmerzen folgen, das Knie schwillt an. «Ich wusste gleich, dass es schlimm ist», so Petignat. Und sofort schwirren Fragen in seinem Kopf herum: Warum? Warum ich? Warum gerade jetzt?

      Zweieinhalb Jahre Pause

      Das Kreuzband ist gerissen, der Meniskus beschädigt. Acht Monate Pause sagt der Klubarzt voraus. Daraus werden zweieinhalb Jahre. Denn die erste Operation verläuft nicht wie gewünscht, er muss sich nochmals unters Messer legen. Der Weg zurück ist lange und beschwerlich. Mit dem YB-Physiotherapeuten bewältigt er täglich ein Spezialprogramm. Oft ist er alleine, hat Schmerzen, weil er immer an die Grenze geht. «Zum Glück konnte ich in der Zeit bei meiner Familie wohnen, das gab mir Kraft.» Auch dass er das klare Ziel hat, weiterhin Profi zu bleiben, motiviert ihn. Als YB ihn einmal mit Kameras besucht, liegt er mit hochgelagertem Bein auf dem Sofa und liest die Biografie von Zinédine Zidane. Der Traum, in dessen Fussstapfen zu treten, lebt weiter.

      Jeden Morgen trifft er seine Teamkollegen. Wenn sie zum Trainieren auf den Platz gehen, muss er in den Kraftraum. Alleine. «Das war das Schwierigste. Sie reisen an Champions-League-Spiele und feiern Meistertitel, und ich kann nicht dabei sein.» Lobend äussert er sich über den Verein:

      «YB hat sich perfekt um mich gekümmert. Die Verantwortlichen haben oft nachgefragt, wie es mir ginge, wie sie helfen können.»

      Esteban Petignat

      Auch eine Psychologin wäre zur Verfügung gestanden, ihre Dienste nimmt Petignat aber nicht in Anspruch. «So eine lange Verletzung ist mental schwierig zu verkraften. Auch ich hatte manchmal Zweifel, mir halfen in dieser Zeit mein Wille und mein Glaube an Gott.»

      Verletzt im Amateurfussball

      Tatsächlich schafft es Esteban Petignat zurück. Fast 1000 Tage nach seinem Kreuzbandriss darf er im Cup gegen den FC Schönberg für eine halbe Stunde mitspielen. Seinen auslaufenden Vertrag hatte YB um ein halbes Jahr verlängert, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich interessierten Klubs zu empfehlen. «Sie haben mich nicht einfach sitzen lassen, das hat mir sehr geholfen», sagt er in grosser Dankbarkeit. Anfang 2023 schliesst er sich dem SC Cham aus der Promotion League an. Bei diesem familiär geführten Verein findet er die Freude am Fussball schnell wieder. Bis er in einer Partie in Zürich wieder eine falsche Bewegung macht. Wieder das gleiche Knie. «Mein erster Gedanke war: Das war's. Ich höre auf», erzählt er.

      Esteban Petignat beim SC Cham

      Esteban Petignat findet beim SC Cham die Freude am Fussball wieder.

      Das MRI zeigt, dass immerhin «nur» der Meniskus beschädigt ist. Petignat lernt eine langwierige Verletzung nun auch aus Sicht eines Amateurfussballers kennen. Mittlerweile arbeitet er als Sachbearbeiter, statt täglichen und begleiteten Krafttrainings wie bei YB muss er die Reha jetzt alleine bestreiten. Nach einem Tag im Büro ist er oft müde, das Knie vom Sitzen geschwollen. Physiotherapie gibt's nur ein, zwei Mal die Woche, die Motivation und die Kraft dafür muss er selber aufbringen. «Auch auf diesem Niveau musst du topfit sein. Es ist aber als Amateurfussballer viel schwieriger, dies nach einer Verletzung wieder zu schaffen, weil du ganz auf dich gestellt bist», sagt er, der grössten Respekt für all jene zeigt, denen das gelungen ist.

      Petignats Leiden sind damit allerdings nicht vorbei. Nach dem Comeback für Cham verletzt er sich erneut am Meniskus und muss noch eine Operation über sich ergehen lassen. Im letzten Saisonspiel steht er dennoch wieder auf dem Platz. Mittlerweile hat er Cham verlassen und ist ins Freiburgerland zurückgekehrt, als Abschied vom Fussball will er das nicht verstanden haben, obwohl er gerade ohne Verein ist. «Ich bin mittlerweile 25, da muss man realistisch sein, was den Profifussball angeht. Aber die Freude ist immer noch da.»

      Petignats Tipps für Verletzte

      Für all jene, die sich wie er mit langwierigen Verletzungen herumschlagen müssen, hat Petignat einen Tipp: «Verletzungen passieren im Fussball, frage nicht nach dem Warum. Akzeptiere es und denke positiv.» Es koste viel Energie und viel Geduld, wieder zurückzukommen, und wenn die Motivation mal etwas leide, sei es sehr hilfreich, wenn man Freunde um sich habe, die einen anspornen, trainieren zu gehen.

      45 000 Menschen verletzen sich jährlich auf Schweizer Fussballplätzen. Nur die wenigsten glücklicherweise so schwerwiegend wie Esteban Petignat. Dass er es trotz aller Rückschläge immer wieder auf den Rasen geschafft hat, dürfte anderen Unglücksraben Ansporn geben, die mühselige Rehabilitation auf sich zu nehmen. 

      Übrigens: Mittlerweile hat Esteban Petignat mit dem FC Bulle einen neuen Verein gefunden. In der Promotion League trifft er nun unter anderem auf die U21 der Berner Young Boys, wo sein Weg einst begonnen hat. Und wer weiss, vielleicht schafft er es ja tatsächlich noch zurück nach ganz oben. Wunder gibt es schliesslich immer wieder.

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