Wiedereingliederung nach überlebtem Stromschlag
Vor rund 14 Jahren erlitt Roman Pulvermüller in seinem beruflichen Alltag einen Stromschlag. Mit den Unfallfolgen hadert er heute noch. Viel mehr schätzt er aber die neuen Erfahrungen.
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Der Tag des Unfalls war ein Freitag. Im Elektrobetrieb, in jenem Roman Pulvermüller (38) arbeitete, wurde vor dem Wochenende keine grosse Arbeit mehr begonnen. Pulvermüller hatte den Auftrag, einige Feststellschrauben auszuwechseln. «Keine grosse Sache», dachte er sich. Allerdings war auf dem Trafo noch Strom. Der Stromschlag traf ihn im Moment, in dem er mit zwei Schraubenschlüsseln die Stelle berührte. Noch während dessen war für Pulvermüller klar: «Ich muss mein Körpergewicht nach hinten verlagern, dass ich vom Strom loskomme.» Dann verlor er das Bewusstsein und weiss nicht mehr genau, wer den Notfall rief. Ein Gedanke schoss ihm aber durch den Kopf: «Jetzt ist das passiert, was nie hätte passieren dürfen.»
«An manchen Tagen sind die Blicke der Leute eine Herausforderung.»
Roman Pulvermüller (38 Jahre)
Die Amputation
Bei einem Stromschlag können Ärztinnen und Ärzte das Ausmass der Verletzung erst nach ungefähr zwei Wochen bestimmen. Denn innere Verbrennungen können sich noch weiter ausbreiten. Der Chefarzt des Unispitals Zürich bereitete Roman Pulvermüller auf eine mögliche Amputation der Arme vor. «Als die Amputation des einen Armes Tatsache wurde, war ich sehr gefasst.» Schwieriger wurde es, als Pulvermüller zurück aus der Rehaklinik Bellikon in den Alltag kam. «Es fühlte sich an, als ob ich in ein neues Haus gezogen wäre, vieles war anders», beschreibt er die Rückkehr ins Elternhaus. An manchen Tagen hadert Pulvermüller auch heute noch mit der Situation und erträgt die Blicke der Leute nicht. «Ich muss dann aufpassen, dass ich mich wegen der Prothese nicht verstecke.»
Die Umschulung
Mit viel Eigenantrieb kämpfte sich Roman Pulvermüller zurück ins Leben. Schon bald stand er wieder auf dem Snowboard, traf Freunde und war mit dem Auto unterwegs. «Ich wollte das Leben spüren. Das gab mir Halt und Sicherheit.» Zu Beginn war die Unterstützung seiner Familie und seiner Freunde, zu einem späteren Zeitpunkt kam die emotionale Aufarbeitung vom Unfall dazu.
In seinen angestammten Beruf konnte Pulvermüller aus verschiedenen Gründen nicht zurück. Beim Wiedereingliederungsprogramm der IV sprach ihn keine der Branchen so richtig an. «Ich habe mich allerdings schon vor dem Unfall fürs Fotografieren begeistert», erzählt Pulvermüller. «So bekam ich die Gelegenheit bei einem Fotografen reinzuschnuppern.» Es folgte der Fotografie-Lehrgang in St. Gallen, sowie ein Praktikum. Heute ist Pulvermüller als selbstständiger Fotograf unterwegs.
Der Neuanfang
Roman Pulvermüller will sein jetziges Leben nicht mit dem Leben vor dem Unfall vergleichen. «Vergleiche machen einem immer unglücklich. Und ich weiss, dass es mir gut geht.» Der Unfall habe auch Positives bewirkt. Er hat Tempo rausgenommen und ermöglicht ihm heute auf unterschiedliche Weise, seiner Kreativität und Interessen nachzugehen.