18 Monate für ein «Denkmal eidgenössischen Brudersinns»
Anderthalb Jahre dauerte der Bau des Suva-Gebäudes auf der Fluhmatt in Luzern – von Mai 1914 bis November 1915. Während der Bauphase wurden die Pläne angepasst: Nicht nur der Nordflügel wurde vergrössert, auch die Kuppel wurde erhöht. Gegen den mächtigen Turm und den Kuppelaufbau hatte sich schon zuvor Widerstand geregt, es kam sogar zu Einsprachen. Der Stadtrat von Luzern verteidigte den Monumentalbau aber als ein «Denkmal eidgenössischen Brudersinns», der «nebenbei zur Zierde der Stadt gereicht.
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«Man betrachte … das Projekt vom Löwenplatz aus! Welch’ Ungetüm türmt sich da über der Zürichstrasse auf, wie übermächtig lastet der sog. Turm auf den Häusern des am Fusse des Felsens liegenden Stadtteils!» heisst es in einem Leserbrief, der am 24. April 1914, während des Baubewilligungsverfahrens, im Luzerner «Tages-Anzeiger» erschien. Und der Leserbriefschreiber machte einen Vorschlag:
«Man zeichne … das projektierte Gebäude mit richtigen Verhältnissen in ein Stadtbild ein! Sofort wird klar, dass der projektierte Bau eine entschiedene Störung des frontalen Stadtbildes darstellt.»
Einer, der sich das Anliegen zu Herzen nahm, war Arnold Bringolf, Hotel- und Villenarchitekt aus Hallau, der in Luzern unter anderem die Villa Bellerive erbaute. Er war der Ehemann von Emma Hauser, für deren Brüder er die Villa Sonnenhof auf dem Bramberg oberhalb der Fluhmatt erstellt hatte. 1893 war er auch der erste Mieter der Villa.
1914 noch stand die Villa Sonnenhof, die seit 1896 als Personalhaus verwendet wurde, allein auf weiter Flur. Nun fürchteten die Eigentümer, die in Luzern als Besitzer des Hotels Schweizerhof bekannt waren, um ihre Ruhe und Aussicht. Oskar Hauser reichte zwei Einsprachen ein, und Arnold Bringolf fertigte eine «Projektmontage» an. Mit einem Stift zeichnete er die Umrisse des geplanten Neubaus in Fotografien des Bauplatzes ein.
Heimatschutz lässt sich nicht einspannen
Gegen den Kuppelbau wehrte sich plötzlich auch der Quartierverein Hochwacht, der ein Jahr zuvor noch mit einer Petition für den Standort auf der Fluhmatt geworben hatte. Über den «Tages-Anzeiger» versuchte er, Druck auf den Heimatschutz zu machen, «da nach Ansicht kompetenter Fachmänner» durch den Turm und die Kuppel «das Landschaftsbild verhunzt werde».
Davon liess sich der Innerschweizer Heimatschutz nicht beeindrucken. An seiner Jahresversammlung vom 14. Juni 1914 im Rathaus Einsiedeln distanzierte sich der Verband. Private und ein Quartierverein seien Sturm gelaufen und hätten den Heimatschutz um Unterstützung angegangen, doch «der Vorstand lehnte diese Zumutung mit der Begründung ab, dass wir die Vertretung von Privatinteressen ablehnen.»
Nur ein «Akzessorium zur Baute»
Rechtlich stellten sich die Einsprecher auf den Standpunkt, dass der Turm als ein eigenständiges Gebäude, nicht als Aufbau zu betrachten sei, immerhin beherberge er das Direktorium und den Verwaltungsrat. Deshalb werde die zulässige Bauhöhe von 18 Metern um mehr als 8 Meter überschritten. Demgegenüber stellte sich die Suva auf den Standpunkt, dass es sich beim Turm lediglich um in «Akzessorium zur Baute» handle, so Paul Usteri in der Verwaltungsratsratssitzung vom 29. April 1914. Ausserdem sei die projektierte Lage «für Herrn Hauser die günstigste», die Aussicht werde gar nicht berührt, «da höchstens die Kuppelfigur des Turmes in den Horizont der Villa» trete.
Einen Tag später, am 30. April 1914, erteilte die Stadt Luzern die Baubewilligung. In der offiziellen Stellungnahme hiess es:
«Luzern wird es zu schätzen wissen, wenn für die Anstalt ein Gebäude geschaffen wird, das auch in seiner Erscheinung ein würdiges Denkmal eidgenössischen Brudersinns darstellt und nebenbei zur Zierde der Stadt gereicht.»
Einsprachen plötzlich zurückgezogen
Zu der in den Einsprachen geltend gemachten Argumentation, eine Kuppel sei für das Suva-Hauptgebäude gar nicht notwendig, bemerkte der Stadtrat, dass «aus Utilitätsgründen fast jedes Bauwerk der architektonischen Ausschmückung und reichen Ausgestaltung entbehren» könne, «wie gerade bei den … Hotelbauten die Kuppeln nicht absolut ‹notwendig› gewesen wären, auch nicht beim Bahnhof. Und doch dienten gerade diese Kuppeln einem bestimmten Zwecke: Sie mussten den Bauten den Charakter des Monumentalen verleihen.»
Zwischen dem 5. und 8. Mai 1914 wurden sämtliche Einsprachen zurückgezogen, am 12. und 16. Mai 1914 wurden die Arbeiten vergeben, am 21. Mai 1914 wurde gemäss Verwaltungsratsprotokoll vom 27. Mai 1914 «mit der Fundierung begonnen».
Planänderungen am Laufmeter
Aus den Verwaltungsratsprotokollen ist auch ersichtlich, dass fast unentwegt an den Bauplänen gearbeitet wurde und dass dabei auch an Details gedacht wurde. So liess sich der Verwaltungsrat am 18. März 1914 darüber informieren, dass Einzelbüros eine Warmwasserheizung erhielten, grössere Arbeitsräume hingegen eine Ventilationsheizung. Dies biete
«den Vorteil, dass … die Fenster geschlossen bleiben müssen, wodurch den zwischen den Angestellten eines und desselben Lokals häufigen Differenzen wegen des Öffnens oder Schliessens der Fenster vorgebeugt wird.»
Vorausschauend wurde «im ärztlichen Laboratorium eine Dunkelkammer für Röntgenphotographie vorgesehen», im Bürotrakt waren es «Glasverschläge für das Maschinenschreiben» und im Archiv «kleinere Bureaux für statistische Arbeiten auf der Kalkulationsmaschine».
Der von den Gebrüdern Pfister geplante, markante Aufzug von der Zürichstrasse auf die Fluhmatt-Anhöhe wurde noch vor Baubeginn aus der Planung gestrichen, «da der Eigentümer der unten liegenden Parzelle zurzeit wenig geneigt ist, sich an der Verwirklichung dieses Projektes zu beteiligen.» Gebaut wurde ein Aufzug tatsächlich erst in den Achtzigerjahren mit der Realisierung des Löwencenters.
Gross war noch nicht gross genug
Kaum hatten die Bauarbeiten begonnen, wurde auch schon das Bauvolumen ausgeweitet. In seiner Sitzung vom 28. Mai 1914 beschloss der Verwaltungsrat, den Nordflügel des vierteiligen Hauptbaukörpers um ein Geschoss zu erhöhen. Dadurch wurde der hintere Längstrakt gleich hoch wie der vordere, mit Mehrkosten von nur 14 000 Franken gewann man eine Nutzfläche von 220 Quadratmetern und einen Rauminhalt von 4000 Kubikmetern.
Allerdings erforderte die Erhöhung des Mittelteils eine Neugestaltung des ganzen oberen Teils der Nordfassade. Dabei orientierte man sich an der Gestaltung der Südfassade. Die Fensterbekrönungen des mittleren Geschosses erhielten alternierend gesprengte Rund- bzw. Dreieckgiebel. Das identische Motiv erscheint auch am Bau der schweizerischen Kreditanstalt an der Bärengasse in Zürich, der zur gleichen Zeit ebenfalls von den Gebrüdern Pfister erstellt wurde.
Auch die Kuppel über dem Turm wurde grösser. Anstelle der gedrückten, spitzen Abdeckung der ursprünglichen «Laterne» (dem Turmaufbau auf der Kuppel) wurde im Juli 1914 ein erhöhter Aufsatz mit einer eigenen kleinen Kuppel als Podest für die Turmfigur präsentiert. Die angepassten Pläne wurden von der Stadt Luzern am 20. August 1914 bewilligt.
Noch im Januar 1915 herrschte in der Bevölkerung offenbar grosse Skepsis gegenüber dem Neubau. In einem Bericht an den Verwaltungsrat, in dem am 27. Januar 1915 über den Baufortschritt informiert wurde, heisst es am Schluss: «Es ist zu hoffen, dass bei der luzernischen Bevölkerung die Befürchtung zu weichen beginne, als bedeute das Anstaltsgebäude durch seine Dimensionen eine Schädigung des schönen luzernischen Stadtbildes. Der alte Spruch, dass die Luft frisst, darf wohl auch in diesem Falle Recht behalten.»
Mangel an Benzin und Fachleuten
Über den Bauverlauf und über die beteiligten Handwerker ist – mit Ausnahme des Verwaltungsratssaales – nur wenig bekannt. Klar ist aber, dass die Umstände vor allem in der Anfangsphase nicht einfach waren. Zum einen spielte zunächst das Wetter nicht mit, der Vorsommer war regnerisch und beeinträchtigte die «langwierigen Erd- und Sprengarbeiten sowie die Fundierung». Zum anderen führte der Kriegsausbruch im Juli 1914 zu Verzögerungen, da die bauleitenden Architekten in den Militärdienst eingezogen wurden und das Benzin für den Betrieb der Baumaschinen knapp wurde.
Im Januar 1915 war der Rohbau vollendet, der Rückstand auf den Zeitplan betrug noch zwanzig Tage, brach doch «mit dem Momente der Hochführung der Baute eine Periode günstiger Witterung an», wie es im Bericht an den Verwaltungsrat heisst. «Insbesondere fiel die Ausführung der Decken in armiertem Beton jeweilen in die Tage kühler Witterung.»
Nur die Arbeiten an der Kuppel wurden noch hinausgeschoben – «bis zum Eintritt schnee- und eisfreien Wetters».
Die Kuppel war im Mai 1915 aufgerichtet. Gleichzeitig arbeitete der Kunstmaler Emil Cardinaux an den Vorlagen für die Fresken in den Dachgiebeln. Diese wurden im September 1915 angebracht. Im Juni 1915 wurde die Ausgestaltung des Verwaltungsratssaales bestimmt, ebenso wurde die Kuppelfigur anhand eines Gipsmodelles genehmigt.
Ursprünglich war der Bezug des Gebäudes auf den 30. September 1915 vorgesehen. Aufgrund der vor allem kriegsbedingten Verzögerung siedelten die Direktion und Verwaltung am 3. Dezember 1915 vom Zunfthaus zu Schneidern auf die Fluhmatt über. Zu diesem Zeitpunkt war das Gebäude fast vollendet. Nur die Kuppelfigur fehlte. Sie wurde erst kurz vor dem Tag der offenen Tür am 16. Januar 1916 montiert.