Ein neues Wahrzeichen thront über der Stadt Luzern
KM 11-1-2-8_Suva-Gebäude Fluhmatt, Erweiterungsstudie (Skizze, aus Vogelperspektive).tif

Ein «Wahrzeichen» für Luzern

Was bescheiden als Zweckbau ohne künstlerische Bedeutung begann, endete als Wahrzeichen für Luzern. Angesichts der nationalen Ausstrahlung des Suva-Hauptsitzes wurde die sogenannte «Plankonkurrenz» für den Neubau in mehreren Schritten ausgeweitet. Aus den dreissig Eingaben von Architekten aus der ganzen Schweiz ging schliesslich das Projekt «Wahrzeichen» der Gebrüder Pfister als Siegerprojekt hervor.

Inhalt

      Als der Suva-Verwaltungsrat am 28. Mai 1913 erstmals über die Anforderungen an das neue Hauptgebäude sprach, war die Rede von einem

      «der Aufgabe und Zweckbestimmung entsprechenden, aber nicht luxuriösen oder palastähnlichen Gebäude.»

      Massgebend seien «nur die zweckmässige, Sonne, Licht und Luft zugängliche Gruppierung der Nutzräume und ihre gute Verbindung unter sich; auch der Ratssaal wird nicht zwingend einen entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Hauses beanspruchen».

      Da dem Bau keine künstlerische Bedeutung zukomme, sei

      «auch kein allgemeiner schweizweiter Architektenwettbewerb nötig,»

      empfahl der Bautenausschuss. Man könne sich auf einen einfachen Wettbewerb unter Luzerner Architekten beschränken: «Es sind in Luzern eine Reihe von Architekten tätig, die durchaus in der Lage sind, mit Erfolg zu konkurriren und die legitimen Interessen luzernischer Bauweise zur Genugtuung der Anstalt und ihres Sitzes zu verwirklichen.» Er schlug eine «Plankonkurrenz» unter fünf Luzerner Architekten vor.

      Streit um Umfang des Wettbewerbs

      Schon in der ersten Debatte wurde diese Beschränkung angezweifelt. Zu wichtig sei die Suva als nationale Institution, zudem arbeiteten die Luzerner Architekten «für ganz andere Verhältnisse, Hotels und grosse Miethäuser», lauteten die Einwände. Paul Usteri als Verwaltungsratspräsident war bereit, den Wettbewerb auszuweiten. Schliesslich beschloss der Verwaltungsrat am 29. Mai 1913, eine «beschränkte Plankonkurrenz» unter zehn Architektenbüros aus allen drei Landesteilen durchzuführen.

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      Bis zu den Beratungen am 25. Juni 1913 waren zehn Architekten «aus einer grossen Zahl von Namen zusammengestellt», wobei der Bautenausschuss darauf achtete, «die junge Generation tunlichst zu berücksichtigen». Das allerdings genügte dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins noch nicht.  Er forderte eine freie Plankonkurrenz.

      Auch aus dem Verwaltungsrat kam die Anregung, mehr Architekten aus der Westschweiz zuzulassen. Dagegen opponierte Usteri mit dem Argument, dass «Architekten aus der romanischen Schweiz … weniger geeignet sein werden, ihre Pläne der ausgeprägt deutschschweizerischen Bauweise, wie sie in Luzern zum Ausdruck kommt, anzupassen.»

      Usteri gibt dem Druck nach

      In der Öffentlichkeit stiess die Beschränkung aber auf Kritik. Sowohl die Schweizerische Bauzeitung als nationales Fachorgan als auch das «Vaterland» als Luzerner Lokalzeitung zeigten kein Verständnis. Für das neue Stadthaus von Luzern werde ein nationaler Architektenwettbewerb durchgeführt, schrieb das «Vaterland» am 5. Juli 1913, «während das allgemein schweizerische Unternehmen die Konkurrenz unbegreiflicherweise auf 10 Firmen beschränkt». Das sei jedenfalls eine interessante Tatsache.

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      Paul Usteri reagierte: Auf «Vorschlage der Architekten-Mitglieder des Preisgerichtes» und aufgrund der «motivierten Anträge seines Präsidenten und der Direktion» erklärte sich der Verwaltungsrat in einem Zirkularbeschluss vom 31. Juli 1913 bereit, den Wettbewerb auszuweiten und sowohl im Bundesblatt als auch im Schweizerischen Handelsamtsblatt auszuschreiben.

      Für die Einreichung von Projekten wurde eine Frist bis am 10. November 1913 gesetzt. Insgesamt gingen 30 Projekte ein, 11 von eingeladenen, 19 von freien Architekten. 14 Projekte schieden bereits in einer ersten Runde am 13. November 1913 aus, die anderen 16 wurden einer eingehenden Prüfung auch durch das Hochbauamt der Stadt Zürich unterzogen. In der Jury sassen renommierte Architekten aus Genf, Bern, Luzern, Chur und Winterthur.

      Gebrüder Pfister überzeugen die Jury

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      Nach zwei weiteren Runden erkor das Preisgericht am 22. November 1913 die Sieger. Der erste Preis ging an die Gebrüder Pfister aus Zürich für das Projekt «Wahrzeichen», der zweite Preis an Joss & Klauser aus Bern für das Projekt «Salus populi suprema lex» («Das Wohl des Volkes sei höchstes Gesetz», Cicero) und zwei dritte Preise an Widmer, Erlacher & Calini aus Basel für das Projekt «Auf Allenwinden» sowie an Nikolaus Hartmann & Cie. aus St. Moritz für das Projekt «Front».

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      Salus populi suprema lex
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      Auf Allenwinden
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      Front

      Nicht ohne Seitenhiebe vermerkt das Protokoll der Verwaltungsratssitzung vom 26. November 1913: «Es wird dem Rate im Hinblick auf die seinerzeit ergangenen Angriffe wegen der ursprünglichen Beschränkung des Wettbewerbes die Mitteilung Genugtuung gewähren, dass die prämiierten 4 Entwürfe sämtliche von besonders eingeladenen Architekten verfasst sind.»

      In seinem Bericht hob das Preisgericht zwei Hauptvorteile des Projektes «Wahrzeichen» hervor – erstens die «für das Stadtbild wertvolle Lage und Gestaltung im Osten des Bauplatzes, mit besonders guter Zugänglichkeit, leicht erreichbar durch gedeckte Treppen und Lift von der Zürichstrasse aus» und zweitens den «geschlossenen Grundriss mit guter Zirkulation und gut orientierten Bureauräumen». In der ursprünglichen Ausschreibung galt die Funktionalität des Gebäudes als das zentrale Kriterium, der Entwurf der Gebrüder Pfister war in seinem Erscheinungsbild ganz auf Fernwirkung angelegt. Darin sah das Preisgericht keinen Widerspruch.

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      Das «Wahrzeichen» im Stadtbild

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      Die Gebrüder Pfister (Otto Pfister rechts im Bild mit einem Mitarbeiter), die in Zürich bereits den St. Anna- und den Peterhof an der Bahnhofstrasse erbaut und den Auftrag für den Neubau der Kreditanstalt an der Bärengasse erhalten hatten, bezeichneten ihr Projekt nicht umsonst als «Wahrzeichen».

      Sie positionierten das Gebäude an der äussersten Stelle der Felswand oberhalb des Löwenplatzes und drückten damit ihren Willen zur Exponierung des Suva-Hauptsitzes aus – eben als Wahrzeichen. Zuvorderst ordneten sie den turmartigen Gebäudeteil mit einer markanten Kuppel an, dahinter einen rechteckigen, massigen Vierflügelbau mit einer kreuzgangähnlichen Erschliessung entlang des Innenhofes.

      Kritik an Turm und Lage

      Ganz ohne Kritik wurde das Projekt der Gebrüder Pfister aber im Verwaltungsrat nicht aufgenommen. Einerseits – sozusagen in eigener Sache – hielten sich verschiedene Mitglieder über die Positionierung des Verwaltungsratssaales auf. Im dritten Geschoss des Turmbaus werde es im Sommer «leicht zu heiss und im Winter leicht zu kalt sein», zudem sei die Zugänglichkeit mit nur zwei Aufzügen erschwert.

      Andererseits warnte Jakob Blattner, Baumeister und Stadtrat von Luzern, vor den geologischen Besonderheiten des Baugrundes. Er stellte die Frage,

      «ob das Gestein die grosse Last des Turmes zu tragen vermöge.»

      Zwar liege «das Eigenartige und künstlerisch Bemerkenswerte am Pfisterschen Projekte … im Turm und in der Idee, den Bau hart an den Felsabsturz gegen die Zürichstrasse hinunter zu stellen», doch habe man übersehen, dass die Luzerner Molasse von Lehmadern durchzogen sei und deshalb Rutschgefahr bestehe. Und er befürchtete: «Man wird also mit dem ganzen Gebäude einige Meter vom Felsabsturz zurückweichen müssen, was der originellen Lösung des Projektes Pfister einen wesentlichen Teil ihres Reizes nehmen wird.»

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      Situationsplan des Suva-Verwaltungsgebäudes, 1914

      Andere Redner konnten sich nicht vorstellen, wie sich das Gebäude in das Stadtbild einfügen würde. Sie regten deshalb eine perspektivische Darstellung in Form einer fotografischen Bildmontage an. Dies sei auch für die öffentliche Meinungsbildung wichtig.

      In der Öffentlichkeit schossen sich vor allem das «Luzerner Tagblatt» und das «Vaterland» auf den «massigen Turm» ein, der «allzu protzig» sei und von einem «Mangel an Rücksichtnahme auf die nähere Umgebung» zeuge, wie das «Vaterland» am 2. Dezember 1913 schrieb. Zuvor waren die prämierten Projekte im Kursaal Luzern ausgestellt worden. Mit dem hohen Gebäude, so das «Vaterland», werde der landschaftliche Reiz «des so malerisch hinter der Musegg ansteigenden Allenwindenhügels wie mit einem Schlag vernichtet».

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      Nordfassade
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      Ostfassade
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      Südfassade

      Konkurrenz zu Hofkirche?

      Kritik äusserte auch die Schweizerische Bauzeitung. Der übermächtige Turmbau stelle eine Konkurrenz zu den Türmen der Hofkirche dar, zitierte das Fachblatt am 3. Januar 1914 «ganz unbeteiligte Architekten von anerkannter Urteilsfähigkeit». Diese seien

      «der Ansicht, das schöne Stadtbild von Luzern mit seinen altehrwürdigen Wahrzeichen der Museggtürme und der Hofkirche bedürfe gar keiner neuen Dominante, es sei im Gegenteil ein Gebot des Taktes, sich dem Bestehenden in Bescheidenheit und Mässigung unterzuordnen.»

      Paul Usteri wies die Kritik zurück, die Turmbaute werde «einen für das Stadtbild nur vorteilhaften Übergang zwischen den durch das tiefeingeschnittene Defilé der Zürichstrasse getrennten Höhen des Bramberges und des Dietschiberges herstellen. » Dies sagte er am 21. Januar 1914, als der Verwaltungsrat den definitiven Auftrag an die Gebrüder Pfister erteilte.

      Gebäude wird um 12 Meter verlegt

      In der Zwischenzeit – von November 1913 und Januar 1914 – waren die Pläne überarbeitet worden, und tatsächlich wurde das Gebäude um 12 Meter nach Westen verschoben. Zu diesem Entscheid trug auch ein geologisches Gutachten der ETH Zürich bei. Usteri war überzeugt, dass dies der «glücklichen Einfügung» des Baus «in das Stadtbild nichts schaden» werde. Ausserdem entstand so der Vorplatz zwischen der Fluhmattstrasse und dem Haupteingang. Auf der Westseite musste dafür die alte Villa Fluhmatt weichen.

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