Wofür ist die Suva zuständig?
Gegründet wurde die Suva als Monopolanstalt für die Versicherung der Arbeitstätigen in gefährlichen Berufen – in den Berufen von Industrie und Gewerbe. Daran änderte sich bis 1984 nichts. Dann, mit der Revision des Unfallversicherungsgesetzes, fiel das Monopol.
Inhalt
Wofür die Unfallversicherungsanstalt zuständig ist und zu welchen Leistungen sie verpflichtet ist, versucht das Gesetz über die Kranken- und Unfallversicherung seit seiner ersten Fassung von 1911 möglichst genau zu umschreiben.
Schon in der Botschaft von 1906 war dem Bundesrat klar, dass die Einschränkung des Obligatoriums auf bestimmte Arbeitnehmerkategorien «etwas Gekünsteltes an sich habe». Es umfasste damals die Arbeitnehmer der industriellen Betriebe, der Verkehrs- und Transportunternehmungen, des gesamten Bauhaupt- und Nebengewerbes, dazu eine Reihe von Gewerbezweigen mit erhöhten Betriebsgefahren und die Regiebetriebe des Bundes.
Die unterstellten Betriebe wurden in Artikel 60 des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes von 1911 aufgezählt und 1915 in einer ersten Revision ergänzt. Darin werden namentlich genannt: Eisenbahn- und Dampfschifffahrtsunternehmungen sowie Post; Betriebe, die dem Fabrikgesetz vom 23. März 1877 unterstellt sind; Baugewerbe; Fuhrhalterei, Schiffsverkehr, Flösserei; Aufstellung oder Reparatur von Telephon- und Telegraphenleitungen, Aufstellung oder Abbruch von Maschinen, Ausführung von Installationen technischer Art; Eisenbahn-, Tunnel-, Strassen-, Brücken- und Brunnenbau, Erstellung von Leitungen, Ausbeutung von Bergwerken, Steinbrüchen oder Gruben; Unternehmungen, in denen explodierbare oder gesundheitsgefährliche Stoffe erzeugt, verwendet oder gelagert werden; Unternehmungen, die elektrische Energie erzeugen, umformen oder abgeben; industrielle und Handelsunternehmungen, die mit betriebsgefährlichen Maschinen oder Einrichtungen oder in unmittelbarem Anschluss an das Transportgewerbe arbeiten; Regiearbeiten öffentlicher Verwaltungen und ähnlicher Anstalten.
Unfallverhütung, Nichtbetriebsunfälle und Berufskrankheiten
Ebenfalls in die Zuständigkeit der Suva fielen die Unfallverhütung (Artikel 65), die zuvor Aufgabe der Fabrikinspektoren war, dazu die Nichtbetriebsunfälle (Artikel 67) und die Berufskrankheiten (Artikel 68). An diesen Grundsätzen hat sich bis heute nichts geändert. Für die Erfassung der Berufskrankheiten wurde der Bundesrat verpflichtet, ein Verzeichnis der Stoffe aufzustellen,
«deren Erzeugung oder Verwendung bestimmte gefährliche Krankheiten verursacht. Einem Betriebsunfalle wird im Sinne dieses Gesetzes eine Erkrankung gleichgestellt...»
Artikel 115 regelte zudem die freiwillige Versicherung. «Auf Begehren» konnte sich «jede nicht obligatorisch versicherte Person, die das vierzehnte Altersjahr zurückgelegt hat, solange sie in der Schweiz wohnt», gegen Unfälle versichern. Diese Bestimmung war vor allem mit Blick auf die Landwirtschaft erlassen worden. 1920 arbeitete fast ein Viertel der Beschäftigten in der Landwirtschaft.
Fast die Hälfte aller Betriebe
1920 waren 34 383 Betriebe der neuen Versicherungsanstalt unterstellt, das sind rund 44 Prozent der 77 668 Firmen, die damals im Handelsregister eingetragen waren. Das Versicherungsobligatorium erfasste rund 61 Prozent der Beschäftigten in der Schweiz, wobei es keine genauen Zahlen gibt. Aufgrund der Volkszählung von 1920 lässt sich ableiten, dass die beiden grössten Berufssektoren – die Landwirtschaft mit 451 541 und der Handel mit 111 101 Beschäftigten – nur bedingt in die Zuständigkeit der Versicherungsanstalt fielen. Erst dahinter folgten die industriellen und gewerblichen Berufe wie die Eisengiessereien und der Metallbau mit 76 613 und die Uhrenindustrie mit 62 802 Beschäftigten. 1920 wurden in der Schweiz insgesamt 1 852 053 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gezählt.
Leistungen der Suva
Genau umschrieben waren die Leistungen der Versicherungsanstalt. Gedeckt waren (und sind heute noch) die Arzt- und Pflegekosten, eine Fortzahlung von 80 Prozent des Lohnes ab dem dritten Tag nach dem Unfall sowie Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten im Todesfall.
Die Witwen- oder Witwerrente betrug anfänglich 30 Prozent des Lohnes, mit der Revision des Unfallversicherungsgesetzes von 1981, das 1984 in Kraft trat, wurde sie auf 40 Prozent erhöht, aber an Bedingungen wie das Alter und die Rentenberechtigung von Kindern geknüpft. Die Waisenrenten betrugen schon immer 15 Prozent pro Kind für Halbwaisen und 25 Prozent für Vollwaisen. Bis 1983 waren auch Eltern, Grosseltern und Geschwister bis zum 16. Altersjahr rentenberechtigt, wobei zusammen nur zu 20 Prozent der Gesamtrente. Insgesamt durften die Renten nicht mehr als 60 Prozent des Lohnes ausmachen. Seit 1984 sind es 70 Prozent (wegen der Anhebung der Witwenrente).
Schon immer waren die Leistungen insofern begrenzt, als ein maximaler Jahresverdienst als Obergrenze des Versicherungsschutzes galt. Interessant, auch als Spiegel des Geldwertes und der Lohnentwicklung, ist der Ansatz, der vom Bundesrat jeweils so angepasst wird, dass 92 bis 96 Prozent der Arbeitstätigen weniger als die Maximalgrenze verdienen. Über die letzten hundert Jahre nahm der Höchstbetrag des versicherten Jahresverdienstes die folgenden Schritte (in Franken):
Jahr | versichtertes Jahresgehalt |
---|---|
1918 | 4000 |
1921 | 6000 |
1945 | 7800 |
1953 | 9000 |
1957 | 12 000 |
1964 | 15 000 |
1967 | 21 000 |
1971 | 31 200 |
1974 | 46 800 |
1983 | 69 600 |
1987 | 81 600 |
1991 | 97 200 |
2000 | 106 800 |
2008 | 126 000 |
2016 | 148 200 |
Systemwechsel im Jahre 1984
Einen grundlegenden Wechsel in der Unfallversicherung brachte das Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 20. März 1981, das auf den 1. Januar 1984 in Kraft trat. Es führte die allgemeine Versicherungspflicht für alle Arbeitnehmer in der Schweiz ein und hob das Monopol der Suva auf. Oder, wie das Bundesgericht in einem Urteil von 1987 festhielt: Das neue Gesetz bestimmte nicht mehr, wer versichert werden muss, sondern wer versichern darf.
Das allgemeine Versicherungsobligatorium war 1984 überfällig. Dies war in den Vorberatungen des Gesetzes unbestritten. Gleichzeitig fiel das Monopol der Suva in der Unfallversicherung, weil das Gesetz weiterhin – und in Artikel 66 des neuen Gesetzes abschliessend – vorschrieb, für welche Branchen die Suva zuständig ist, und damit ihren Tätigkeitsbereich einschränkte. Es waren weiterhin die industriellen und gewerblichen Berufe, deren Anteil an der Gesamtwirtschaft kontinuierlich abnahm. Weiterhin galt also die Gefährlichkeit einer Tätigkeit als ein wichtiges Abgrenzungskriterium.
Um der Suva – angesichts der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung – entgegenzukommen, wurden ihr die ganze Bundesverwaltung, die Bundesbetriebe und Bundesanstalten sowie die Vermittler von Temporärarbeit und die Invalidenwerkstätten unterstellt. Die Kantone und Gemeinden mussten den Versicherer bis im Oktober 1983 wählen: 27 Prozent der Kantone und 15 Prozent der Gemeinden entschieden sich für die Suva.
Wenige Grosse dominieren den Markt
Unmittelbar nach der Revision von 1984 betätigten sich rund 270 Versicherungsgesellschaften im obligatorischen Teil der Unfallversicherung. Innerhalb der ersten fünf Jahre schrumpfte die Zahl erheblich und rund die Hälfte des Marktes war schon bald in den Händen von wenigen grossen Gesellschaften.
Seit der Revision des Unfallversicherungsgesetzes ist der Marktanteil der Suva stetig zurückgegangen, was vor allem mit dem Schrumpfen des industriellen und gewerblichen Sektors in der Schweiz zu tun hat. Die folgenden Zahlen geben einen Überblick über die Entwicklung:
Jahr | Betriebe (in %) |
---|---|
1920 (nach Eröffnung) | 44,3 |
1984 (UVG Revision) | 33,1 |
1988 (nach UVG-Revision) | 29,4 |
>2014 | 20,43 |
Die Revision des Unfallversicherungsgesetzes vom 25. September 2015, die auf den 1. Januar 2017 in Kraft trat, brachte keine nennenswerten Veränderungen. Wofür die Suva heute zuständig ist, fasst die Wegleitung der Suva durch die Unfallversicherung in übersichtlicher Form zusammen.
Titelbild: Aushub von Hand, Zürich 1910, Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich