Die schlimmste Krankheit des 20. Jahrhunderts
Die schwerste Berufskrankheit des letzten Jahrhunderts war die Silikose. Innerhalb von fünf Jahrzehnten erkrankten fast 11 000 Arbeiter an den Spätfolgen des Quarzstaubes, den sie in Giessereien, in der Stahlindustrie, in Bergwerken oder bei Tunnel- und Staudammbauten eingeatmet hatten. Mehr als 3000 starben, Tausende erlitten schwere Lungenschäden.
Inhalt
Lange hielt man die Silikose in der Schweiz für ein Phänomen, das vor allem das Ausland betraf – Südafrika mit seinen Diamantminen und Deutschland mit seinen Kohlebergwerken. 1932, als die Suva über die Anerkennung der Quarzstaublunge als Berufskrankheit diskutierte, rechnete der damalige Direktor, Alfred Tzaut, nicht mit einer Flut von Fällen, da «die Silikose in unserm Lande keine grosse Rolle spielt».
1932 gab es noch keine gesetzliche Grundlage, die es erlaubte, die Silikose als Berufskrankheit anzuerkennen. Diese wurde erst 1938 – auf Antrag der Suva – mit der Aufnahme der Kieselsäure (Quarz) in die «Giftliste» des Bundesrates geschaffen. In der Liste waren die Stoffe aufgeführt, von denen man wusste, dass sie zu Berufserkrankungen führten.
Todesfälle in Schaffhausen
Dass sich die Suva bereits 1932 entschloss, die Silikose auf freiwilliger Basis anzuerkennen, ging auf den Druck aus Gewerkschafts- und Ärztekreisen zurück. Deutschland hatte die Staublunge schon seit 1929 entschädigt, allerdings nur die schweren Fälle. In der Schweiz gab es kein geregeltes Meldeverfahren. Dass es in den Eisen- und Stahlwerken, vormals Georg Fischer AG, in Schaffhausen zwischen 1925 und 1931 zu 25 Todesfällen mit Verdacht auf Silikose gekommen war, erfuhr die Suva erst 1932. Dazu kam ein weiterer Fall in Genf.
Hermann Häberlin, Vertreter der Ärzteschaft im Suva-Verwaltungsrat, warnte damals davor, die Krankheit zu unterschätzen. Man wisse seit mehr als 50 Jahren von der Silikose. Alfred Tzaut hatte die Gefahr auch deshalb unterschätzt, weil Auskünfte bei Spitälern ergeben hätten, «dass man daselbst selten einen Fall von Silikose sieht». Allerdings beruhte die Auskunft auf den mangelhaften Möglichkeiten der damaligen Diagnostik. Staublungen wurden häufig mit Katarrhen oder Tuberkulosen verwechselt. Noch bis in die Sechzigerjahre war es schwierig, die Silikose zu erkennen, die Röntgenbilder gaben häufig zu wenig Aufschluss.
Vervierfachung der Silikose-Befunde
Schon in den Dreissigerjahren kam es – auch aufgrund der freiwilligen Anerkennung durch die Suva –zu einer merklichen Zunahme der erfassten Silikose-Fälle. In den ersten fünf Jahren wurden 211 Fälle gemeldet, davon wurden 131 als Staublunge anerkannt. In den nächsten fünf Jahren vervierfachte sich die Zahl. (Abbildung Silikose-Schrotkornlunge)
Betroffen waren zunächst vor allem Sandstrahler in der Stahlindustrie, die Gussformen mit Quarzsand reinigten, ab 1936 vermehrt auch Steinhauer und Bergarbeiter. Dass «auch der Staub in Steinbrechanlagen, beim Bearbeiten von Hausteinen, beim Bohren von Minenlöchern und beim Sprengen von Fels» gefährlich war, «musste sich bei Ärzten und Versicherten erst Bahn brechen», so die Direktion in ihrem Antrag von 1937, die Kieselsäure auf die «Giftliste» aufzunehmen.
Gegen die Staublunge gab es keine Therapien. Schutz- und Vorsichtsmassnahmen waren die einzigen Mittel, um die Silikose zu bekämpfen. 1936 wurde der gewerbeärztliche Dienst als Teil der ärztlichen Abteilung in Luzern geschaffen. Dieser wurde «einem toxikologisch speziell vorgebildeten Arzte der Anstalt unterstellt» und hatte den Zweck, «sich einerseits mit Fragen der Feststellung und der Behandlung der gewerblichen Vergiftungen zu befassen und andererseits den Unfallverhütungsdienst beim Studium der Prophylaxe auf diesem Gebiete zu unterstützen».
Frischlufthelm als Atemschutz
Dabei konzentrierte sich die Suva auf die technische Prophylaxe. In den Schleifereien propagierte sie den Ersatz der Naturschleifsteine durch Kunstschleifscheiben, im Tunnel- und Stollenbau empfahl sie die Wasserzufuhr bei der Verwendung von Pressluftwerkzeugen. Kopfzerbrechen bereiteten die Sandstrahler und Steinhauer.
In den Dreissigerjahren entwickelte die Suva – ursprünglich für den Einsatz in Farbspritzwerken – einen eigenen Frischlufthelm, der 1938 sogar in Serienproduktion ging. Innerhalb von zehn Jahren wurden über 250 Stück verkauft.
Allerdings stellte die Suva immer wieder fest, dass sich Sandstrahler und Steinhauer nicht an die Vorschriften hielten. Arbeiter legten die Frischlufthelme ab, wenn diese störten – etwa bei Vorbereitungsarbeiten oder, was wegen des hohen Materialverschleisses häufig der Fall war, bei Reparaturen oder dem Wechsel von Geräteaufsätzen. Auch erwies sich die «Fesselung an den Luftzuführungsschlauch», wie es die Suva in ihrem Geschäftsbericht von 1938 formulierte, in der Steinbearbeitung als ein Hindernis.
Krieg begünstigt die Silikose
In den Kriegsjahren schnellte die Zahl der Silikose-Erkrankungen in die Höhe – auf das Zehnfache der Zeit von 1932 bis 1937. Betroffen waren vor allem Stollenarbeiter; ein Viertel der Diagnostizierten starb, ein weiterer Viertel erhielt eine Invalidenrente.
Wie dramatisch die Situation war und wie stark die Gefährdung von den Bedingungen an den einzelnen Arbeitsorten abhing, bestätigte der damalige Suva-Oberarzt, Fritz Lang, in einem Aufsatz von 1952:
««Ja, bei einer grösseren Gruppe von Stollenarbeitern einer bestimmten Arbeitsstelle, die während des Krieges ohne geeignete Schutzmassnahmen arbeiten mussten, ist etwa die Hälfte aller uns bekannt gewordenen Silikotiker gestorben, alle anderen sind schwer invalid.»»
Tatsächlich wirkte sich der Zweite Weltkrieg in einem erheblichen Ausmass auf die Zahl der «Silikotiker» aus. Einerseits verzichtete das Militär wegen des kriegsbedingten Zeitdrucks und der kriegswirtschaftlichen Einschränkungen weitgehend auf Schutzmassnahmen bei der Erstellung von Befestigungsbauten. Diese wurden dort gebaut, wo Quarz vorkommt – in den Alpen. Andererseits zwang der Krieg dazu, Kohlevorkommen auszubeuten, und er steigerte die Nachfrage nach Produkten aus den Eisen- und Stahlgiessereien.
Hinzu kam ein weiterer Aspekt: Während des Krieges fehlten die italienischen Gastarbeiter in der Schweiz. Sie hatten zuvor in der Regel nur eine Saison in der Schweiz verbracht. Entweder erkrankten sie aufgrund der kurzen Aufenthaltszeit nicht oder die Silikose wurde in der Schweiz nicht registriert.
Suva will mehr Kompetenzen
Angesichts der starken Zunahme der Silikosefälle in den Kriegsjahren drängte die Suva auf eine weitere Verschärfung von Auflagen und Gesetzesbestimmungen. 1942 hatte sie die Nassbohrung in Kohlebergwerken bereits durchgesetzt – allerdings nur mit Einzelweisungen. 1943 schlug sie dem Bundesrat vor, eine entsprechende Vorschrift für den gesamten Tunnel- und Stollenbau zu erlassen («durch Nassbohrung, Berieselung des Schotters usw.»).
Gleichzeitig forderte sie die Einführung von routinemässigen Vorsorgeuntersuchungen für Arbeitnehmer, die in Staubumgebungen arbeiteten. Sie wollte die Befugnis, Arbeitsverbote auszusprechen, falls eine potenzielle Gefährdung vorlag. Mit der gleichen Absicht hatte die Suva begonnen, eine «zentrale Kartothek» über Arbeiter anzulegen, die sie in den vorangegangenen Jahren aufgrund von Symptom-Meldungen untersucht hatte. 1945 waren bereits 5000 Namen erfasst.
Mehrbelastung für Unternehmen
Gegen den Gesetzesentwurf der Suva wehrten sich die betroffenen Industrien. Frustriert konstatierte die Suva in ihrem Jahresbericht von 1943, dass «von anderer Seite ein Gegenentwurf» eingegangen sei und das Bundesamt für Sozialversicherung deshalb «ein etwas zeitraubendes Bereinigungsverfahren eingeleitet» habe. Es dauerte bis 1946, als die Verordnung schliesslich in Kraft trat.
Was auf die Unternehmen zukam, war der Suva bewusst. «Nassbohrung, Wasserzuleitungen, Ventilationen, medizinisch-prophylaktische Röntgenuntersuchungen in grosser Zahl etc. werden die Betriebsinhaber finanziell stark belasten», sagte Hans Gervais, Suva-Direktor von 1942 bis 1948, am 9. März 1944 vor dem Verwaltungsausschuss. 1945 verschärfte sich die Situation, als das Eidgenössische Versicherungsgericht in Luzern entschied, auch Fälle zuzulassen, die auf Staubeinwirkungen zurückgingen, die vor 1938 erfolgten. Für die Suva hatte bisher der Zeitpunkt der gesetzlichen Anerkennung der Kieselsäure (auf der «Giftliste» des Bundes) als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht gegolten. Sie musste mit Mehraufwendungen in Millionenhöhe rechnen, da Silikose-Erkrankungen häufig erst nach Jahrzehnten ausbrachen.
Um die finanziellen Auswirkungen abzufedern, griff der Bund zu einer Fondslösung. Er schuf eine «Ausgleichskasse», die bezweckte, die Kosten über einen längeren Zeitraum zu verteilen. Dies sahen die Tunnel- und Stollenbaubetriebe anders: Sie speisten die Kasse mit ihren Prämiengeldern, sie beklagten sich über die teure «Silikoseprämie».
Weisungen werden ignoriert
Immer wieder stiessen sich Betriebsinhaber auch an den Auflagen und Verboten. Sie sahen die unmittelbaren Verteuerungen und hatten kein Gehör für die Worte von Hans Gervais, der 1944 sagte:
««Von den Betriebsinhabern werden grosse finanzielle Opfer gefordert; dafür können später aber Hunderttausende, ja Millionen von Franken an Versicherungsleistungen eingespart werden, ganz abgesehen von den menschlichen Gesichtspunkten, die bei dieser Frage in erster Linie massgebend sein sollten.»»
Regelmässig stellte die Suva fest, dass Weisungen ignoriert und Verhütungsmassnahmen umgangen wurden, dass Arbeiter nicht zu den Vorsorgeuntersuchungen angemeldet und Arbeitsverbote missachtet wurden. «Die Entfernung aus dem Quarzstaub », schrieb die Suva in ihrem Geschäftsbericht von 1945, «stösst, aus verschiedenen Gründen, bei Arbeitern und Betriebsinhabern oft auf grosse Schwierigkeiten.» Bis in die Sechzigerjahre wiederholten sich die Klagen.
Granit konnte nichts Schlechtes sein
Für die Bauwirtschaft ging es einerseits um Geld, andererseits gab es einen ideellen Aspekt: Granit war ein Rohstoff, einmalig für die Schweiz, er war ein Teil der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte des Landes. Kurz: Granit konnte nichts Schlechtes sein.
In der Verwaltungsratssitzung vom 28. Juni 1963, als es um eine Prämienerhöhung für «Silikose-Betrieb» ging, wehrte sich François Buche, Zentralpräsident des Schweizerischen Baumeisterverbandes, als Vertreter der Bauwirtschaft für seine Branche: «Bekanntlich ist die Schweiz arm an Rohstoffen. Sie besitzt im Grunde genommen nur den Stein.» Mit einem eindringlichen Appell fuhr er fort: «Wer die Gemarken der Schweiz durchstreift, kann feststellen, dass es nichts Schöneres gibt, als diese alten aus Stein gebauten Werke, die allen Unbilden getrotzt haben.» Dass nun eine Schlüsselindustrie «noch eine neue Last auf sich nehmen» müsse, sei bedauerlich. «Es sei daran erinnert, dass in Algier Schweizer Stein für die Errichtung der Molen verwendet wurde; auch in Holland ... zur Erstellung von Schutzwällen gegen Überschwemmungen.»
Harte Kritik der Suva
1968, auf dem Höhepunkt der Silikose-Krise, als die Rekordzahl von 879 Fällen einging, äusserte sich die Suva deutlich zu den Versäumnissen der Vergangenheit. In ihrer Festschrift zum 50-Jahr-Jubiläum der Versicherungsanstalt schrieb sie:
««Wer diese mühsame Entwicklung verfolgt, muss sich an den Kopf greifen. Wie war so etwas in unserer fortschrittlichen Welt überhaupt möglich? War es schlechter Wille, Uneinsichtigkeit, Habgier, Gleichgültigkeit?»»
Und in Anspielung auf die untergeordnete Rolle, die Berufskrankheiten spielten, fragte sie: «Wer will den ersten Stein auf diese Zögerer werfen, wenn man bedenkt, was wir alle auf dem Gebiete der Verhütung von Unfällen, die ja zahlenmässig eine viel grössere Rolle spielen, heute noch zu tun hätten, und wenn man ferner bedenkt, dass auch das Ausland mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte?» Anerkennung erhielt die chemische Industrie, die «sich stets äusserst positiv gegenüber Vorschlägen auf Erweiterung des Versicherungsschutzes gegen Berufskrankheiten verhalten» habe.
Prophylaxe zeigt Wirkung
Zu dieser Zeit wurde die zunehmende Wirkung der Silikose-Prophylaxe ersichtlich. Kontinuierlich ging die Zahl der neuen Fälle zurück, deutlich allerdings erst ab 1989 (auf rund 30 bis 40 Fälle pro Jahr). Grund für den Rückgang waren – neben den technischen Massnahmen wie Nassbohren oder Staubabsaugen – vor allem die routinemässigen Vorsorgeuntersuchungen, die mit der Gesetzesänderung von 1946 begannen.
Dabei ging es um die Früherkennung. «Die nun systematisch durchgeführten Tauglichkeitsuntersuchungen brachten eine Menge von im Anfangsstadium befindlichen und noch keine Erscheinungen machenden Staublungen an den Tag», schrieb die Suva bereits nach einem Jahr, wobei «das verhältnismässig preiswerte Schirmbildverfahren … eines der wirksamsten Mittel zum rechtzeitigen Erkennen erster Zeichen von Quarzstaublungen» sei. 2388 Untersuchungen wurden durchgeführt, 193 Silikosen entdeckt und 233 Arbeitsverbote ausgesprochen. In der Folge untersuchte die Suva jährlich rund 4000 bis 6000 Arbeiter, der Anteil der sogenannten «Untauglichkeitserklärungen» lag anfänglich bei rund 10 Prozent, schon ab 1950 bei rund 5 Prozent.
Unverständnis bei Bergarbeitern
Für die betroffenen Bergarbeiter, Mineure oder Gussputzer waren die «Untauglichkeitserklärungen» einschneidend – vor allem dann, wenn eine Silikose diagnostiziert wurde, aber kein Leistungsanspruch bestand, weil die Suva befand, eine Arbeit sei in einem anderen, staubfreien Bereich oder Beruf möglich.
Auf rund ein Viertel der Arbeiter traf diese Konstellation zu: Sie wurden mit einem Arbeitsverbot belegt, erhielten aber kein Krankengeld und keine Rente. Sie fühlten sich gesund und hatten häufig Mühe, den Entscheid zu akzeptieren.
««Wenn ich nicht im Quarzstaub arbeiten darf, dann heisst das doch bestimmt, dass ich krank bin – und Sie behandeln mich nicht!»»
brachte es ein Arbeiter in einem Schreiben vom 12. November 1953 an die Kreisagentur Lausanne auf den Punkt. Manchmal kehrten «Untaugliche» einfach an ihre Arbeit zurück.
Bergleute traf es besonders hart, denn die Bergwerksarbeit gehörte in der Schweiz zu den bestbezahlten Handwerksberufen. Für die meisten Mineure war die «Untauglichkeitserklärungen» mit einem beruflichen Abstieg und einem Einkommensverlust verbunden. Wohl aus diesem Grund unterschied die Suva in den Fünfzigerjahren zwischen den Altersgruppen: Während für einen jüngeren Arbeiter schon eine kurze Expositionszeit genügte, um den Arbeitsplatz zu verlieren, wurden die älteren Arbeiter geschont. Sie durften unter Auflagen an ihrem angestammten Arbeitsort bleiben.
Suva rüstet technisch auf
Um festzustellen, wie gross die Gefahr an einem bestimmten Arbeitsplatz war, musste die Suva in der Lage sein, die Staubkonzentration zu messen. 1949 entwickelte sie ein eigenes Messgerät, «nach den Angaben der Eidg. Materialprüfungsanstalt» und gemäss dem folgenden Funktionsprinzip: «Bei diesem Gerät wird die zu prüfende Staubluft vermittels eines Gebläses durch vorgewogene Papierfilter oder – nach französischen Vorschlägen – durch lösliche Filter gesaugt. Nachher wird durch Wägungen und Schlämmanalysen der auf dem Filter abgeschiedene Staub untersucht.»
1959 verkündete die Suva stolz: «Auf dem Anstaltsareal in Luzern wurde ein eigenes Chemielaboratorium erstellt und in Betrieb genommen.» In diesem Labor werde man «Staubproben künftig selbst auswerten», angewendet werde eine neue Staubmessmethode «mit mikroskopischer Auszählung der Staubteilchen». Für die Entnahme der Staubproben wurde ein eigenes Staubentnahmegerät entwickelt. Dieses bestand laut Beschrieb von 1965 aus «einer Saugeinheit (Elektro- oder Druckluftgebläse) und einer Messeinheit (Luftregulierung, Gasuhr, Manometer, Sicherheitsfilter)».
Hohe Sterblichkeit, hohe Kosten
1965 steuerte die Silikose-Krise auf ihren Höhepunkt zu. Mehr als zwei Drittel der Kosten in der Versicherung der Berufskrankheiten entfielen auf die Silikose. Berufskrankheiten machten nur gerade 1,8 Prozent der Fälle in der Berufsunfallversicherung aus, bei den Kosten erreichte die Staublunge aber einen der Anteil von 6 Prozent. «Erschreckend hoch», diese Formulierung verwendete die Suva wiederholt in ihren Geschäftsberichten, war die Sterblichkeit. Sie lag um 250 Prozent über der Sterblichkeit der Gesamtbevölkerung.
Zugenommen hatte die Zahl der Silikose-Fälle vor allem nach 1964, als sich die Schweiz mit Italien auf ein Versicherungsabkommen einigte. 1967 stammten mehr als 60 Prozent der gemeldeten Fälle von Gastarbeitern, die in ihre Heimat zurückgekehrt waren.
«Nach wie vor mühsam», so die Suva in ihrem Geschäftsbericht von 1967, gestaltete sich der Vollzug des Abkommens, «obschon versucht wurde, in zwei Konferenzen mit Vertretern unseres Versicherungspartners die grössten Schwierigkeiten zu beheben». Häufig entbrannte der Konflikt über der Frage, wo die Krankheit «erworben» worden war. Dies betraf die zahlreichen Bergleute, die in der Schweiz vor allem aus Norditalien, Deutschland und Österreich stammten. Immerhin erlaubte es die Übereinkunft mit Italien, Versicherungsleistungen auszuzahlen, während die zwischenstaatlichen Abklärungen und Verhandlungen noch liefen.
Entwarnung erst in den Achtzigerjahren
Ende der Siebzigerjahre begannen sich die guten Nachrichten zu häufen. Insbesondere die Zahl der Neuerkrankungen ging deutlich zurück. Die grossen Infrastruktur-Baustellen der Siebzigerjahre – Gotthard- und Seelisberg-Tunnel, Flughafenlinie in Zürich, Kernkraftwerk Gösgen, Furka-Basistunnel – begleitete die Suva mit Hunderten von Staubmessungen. Probleme bereiteten einzig noch die Eisen- und Stahlgiessereien, die nach dem Sandgussverfahren arbeiteten. 15 Prozent der geprüften Betriebe überschritten die Grenzwerte noch in den Achtzigerjahren.
1989 lag die Sterblichkeit der «Silikotiker» auf dem Stand der übrigen Bevölkerung.
Titelbild: Bohrarbeiten für die Jungfraubahn um 1900. Bei der Trockenbohrung wurde viel Quarzstaub freigesetzt.